Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Lyrik tief daraus schöpft, das ist brotlose Kunst. In erster Linie, da ist er sich einig mit Doris, heißt die Aufgabe für die Töchter: Hauswirtschaft lernen, einen standesgemäßen Mann finden, ihm Kinder und Liebe schenken und ihm dienen. Das ist Lucie schon sehr früh eingetrichtert worden, bereits als Neunjährige hat sie strategische Pläne, und Storms Freund Klaus Groth ist ein Teil davon. Fest entschlossen schreibt das Kind: Ich komme zu Dir, wenn ich sechzehn Jahr bin, und will die Haushaltung führen, lieber Klaus . Nachdem Lisbeth, die Älteste, bei Pastor Gustav Haase untergekommen ist, soll auch Lucie endlich einen Mann finden und den Eltern nicht mehr auf der Tasche liegen. Die zu Depressionen neigende Doris möchte die fröhliche Lucie lieber heute als morgen los sein; ihr Verhältnis zur Stieftochter ist gespannt.
Sie kränkelt ähnlich mit Nervosität und Rheumatismus wie ihr Vater, Gesichtsschmerzen plagen sie wie ihre Mutter Constanze. In Heiligenstadt bei Onkel Otto findet Lucie dann 1878 tatsächlich ihre Liebe, Hermann Kirchner, den sie nach dem ersten Kennenlernen aber nur treffen darf ge-
mäß Verfügungen, die Storm aus Husum seinem Bruder übermittelt und
zur Anwendung überlässt. Schwere Bedenken plagen ihn: Der Mann ist zwar Apotheker, hat aber keine eigene Apotheke. Schlimmer noch wiegt, dass er katholischen Glaubens ist. In einer katholischen Stadt werde ich mein Kind nicht verheirathen (…); auch will ich keine katholischen Enkel haben, so confessionslos ich im Uebrigen bin . Lucie feiert ihre Verlobung wie einen Sieg, als hätte sie den ersten Preis im Unterschied-Lernen errungen. An ihre Schwester Lisbeth geht diese Siegesmeldung: Na, meine Lite, was sagst Du eigentlich dazu daß ich mich verlobt habe; das hast Du dir eigentlich wohl nicht gedacht, daß ich auch noch Einen abbekommen würde? Ihr lebensbejahendes Naturell lässt sie erwartungsfroh in die Zukunft blicken. Sie will sich jetzt zu einer bedeutenden Hausfrau heranbilden, und, ganz im Sinne ihres Vaters, ordentlich, sparsam und fleißig sein . Doris bezweifelt Lucies Tüchtigkeit, sieht die Stieftochter mit Argusaugen: Ich denke mit Angst und Sorge daran, wie wenig sie leistet, überhaupt übersieht u wie das in ihrem Hausstand werden soll .
Lucie ist, wie Storm feststellt, eine glücklich verlobte junge Frau, aber leider: Hätten wir nur Aussicht auf eine Apotheke! schreibt er an Karl. Um die Lage auszukundschaften, reist er während des Urlaubs im August 1879 mit dem Schwiegersohn in spe nach Bremen. Dort leben die Kirchners und auch ein reicher Onkel. Wird er Hermann, wie man munkelt, eine Apotheke kaufen und dieser damit auch für Lucie die richtige Partie sein?
Glücklich-unglückliche Braut Lucie, die in ihrem Verlobungsglück an ihren Nervenübeln leidet, mal hier, mal dort wohnt und mal wieder nach Hause kommt. Dort liegen die brenzligen Themen Katholizismus und Apotheke obenauf. Sie lassen auch Lucie nicht kalt, denn vom katholischen Glauben hält sie nichts, sie hängt an ihrem protestantischen. So vergießt sie nervöse Tränen und zieht sich zurück ins Bett. So haben es schon Großmutter Lucie und Tante Cäcilie gemacht.
In Kiel nimmt sie römisch-irische Bäder, sie reist nach Bad Oeynhausen ins Schlammbad zu Sanitätsrat Lehmann. Für die Behandlungen muss Storm tief in die Tasche greifen. Die Ärzte sind ratlos und probieren herum, auch eine Elektrisiermaschine, die der Doktor-Bruder Aemil sich für seine Praxis gekauft hat, wird eingeschaltet. Geheilt wird sie nicht von ihren Leiden. Ihren Verlobten sieht sie hin und wieder. Er hat inzwischen Arbeit in der »Kolsterschen Apotheke« in Schleswig gefunden, ist also ganz in der Nähe. Wenn sie ihn dort besucht, dann muss streng auf Stil und Form geachtet werden. Storm schätzt Hermann Kirchner mehr und mehr, nicht zuletzt deswegen, weil er ihm in Hamburg hilfreich bei der Bewältigung der schier unüberwindlichen Probleme mit Sohn Hans zur Seite stand. Auch die Storm-Töchter hängen an ihm, sogar dem kritischen Bruder Ernst gefällt der Mann.
Noch gehören Elsabe, Gertrud und Friederike zum »kleinen Gesindel« und wissen nicht viel von der Gesellschaft, in die sie sich eines Tages hineinfinden müssen. Die Gräfin Franziska zu Reventlow gibt darüber später Auskunft. »Fanny« ist jetzt acht Jahre alt, sie wohnt mit Eltern und Geschwistern im Schloss. Ab und zu besucht sie mit ihrer Schwester Agnes die Storms in der Wasserreihe; so gratulieren
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