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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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ist ein langes Prosagedicht ohne Reim, es spricht wie stotternd, will das Unsagbare sagen, kann es nicht, verschlingt das Unsagbare und sagt es dann doch. Dieses Gedicht steht in Storms Werk und in seiner Zeit einzig da, es verweist auf Kommendes und Kommende, zum Beispiel auf Gottfried Benn.
    Im Flügel oben hinterm Korridor,
Wo es so jählings einsam worden ist
– Nicht in dem ersten Zimmer, wo man sonst
Ihn finden mochte, in die blasse Hand
Das junge Haupt gestützt, die Augen träumend
Entlang den Wänden streifend, wo im Laub
Von Tropenpflanzen ausgebälgt Getier
Die Flügel spreizte und die Tatzen reckte,
Halb Wunder noch, halb Wissensrätsel ihm
– Nicht dort; der Stuhl ist leer, die Pflanzen lassen
Verdürstend ihre schönen Blätter hängen;
Staub sinkt herab; – nein, nebenan die Tür,
In jenem hohen dämmrigen Gemach
– Beklommne Schwüle ist drin eingeschlossen –,
Dort hinterm Wandschirm auf dem Bette liegt
Etwas – geh nicht hinein! Es schaut dich fremd
Und furchtbar an.
    Vor wenig Stunden noch
Auf jenen Kissen lag sein blondes Haupt;
Zwar bleich von Qualen, denn des Lebens Fäden
Zerrissen jäh; doch seine Augen sprachen
Noch zärtlich, und mitunter lächelt‘ er,
Als säh er noch in goldne Erdenferne.
Da plötzlich losch es aus; er wußt’ es plötzlich
– Und ein Entsetzen schrie aus seiner Brust,
Daß ratlos Mitleid, die am Lager saßen,
In Stein verwandelte –, er lag am Abgrund;
Bodenlos, ganz ohne Boden. – »Hilf!
Ach Vater, lieber Vater!« Taumelnd schlug
Er um sich mit den Armen; ziellos griffen
In leere Luft die Hände; noch ein Schrei –
Und dann verschwand er.
    Dort, wo er gelegen,
Dort hinterm Wandschirm, stumm und einsam liegt
Jetzt etwas; – bleib, geh nicht hinein! Es schaut
Dich fremd und furchtbar an; für viele Tage
Kannst du nicht leben, wenn du es erblickt.
»Und weiter – du, der du ihn liebtest –, hast
Nichts weiter du zu sagen?«
    Weiter nichts.
    Wenn auch nicht in allen Fragen der Dichtung Übereinstimmung herrscht, so halten Storm und Reventlow doch zueinander: Das Stückchen unbefangenes Menschenthum auf beiden Seiten wird sich nie mehr mißverstehen . Beide in der Jugend geprägt von Ungestüm, Freiheits- und Unternehmungsdrang – Franziska von Reventlow trägt dieses Erbe ihres Vaters bis zuletzt – nun, nach sehr unterschiedlichem Lebenslauf, stehen sie da als Schleswig-Holsteiner im gehobenen Beamtendienst Preußens, vor allem aber als stockkonservative Oberhäupter einer großen Familie, einig in der Alles-oder-Nichts-Regel von Befehl und Gehorsam. Storm verfügt über Frau und acht Kinder, Reventlow über Frau und sechs Kinder. Nicht zuletzt in dieser Übereinstimmung liegt der Grund für ihre Freundschaft, die begann, als Storm 1864 aus Heiligenstadt nach Husum zurückkehrte, und sich erhielt bis zu seinem Tod in Hademarschen.
    Der Amtsgerichtsrat Storm erhält am Ende seiner Richterlaufbahn den Roten Adlerorden 4. Klasse, verliehen vom preußischen König, ausgehändigt durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts. Diese Auszeichnung verbindet beide Männer ebenfalls; denn gleichzeitig erhält ihn auch Reventlow. Die Ordensverbindung der Freunde, die mehr schleswig-holsteinisch als preußisch denken und fühlen, ist rein äußerlich; denn das Ehrenabzeichen wird selbst von seinen preußischen Trägern mit geringschätzigem Achselzucken entgegengenommen oder als Beleidigung zurückgewiesen. Fontane erzählt davon in seiner »Effi Briest«.
    Erich Schmidt sieht in der Ordensverleihung ein großes Ereignis und gratuliert. Storm sieht das Ereignis wie Ladenberg in Fontanes »Effi Briest« und schreibt dazu seiner Tochter Elsabe, gleichgültig sei ein Orden wie der Rote Adler , der jedem abgehenden Beamten als Alterszeichen aufgeheftet wird, immer vorausgesetzt, daß er keine silbernen Löffel gestohlen oder sich staatsgefährlich gemacht hat .
    Richter Storm leitet im Amtsgericht Husum die Abteilung II in den Jahren nach der preußischen Justizreform, sein jüngerer Kollege Nissen die Abteilung I, die Prozessabteilung. Storms Arbeitsfeld ist die Freiwillige Gerichtsbarkeit, er entscheidet Fragen zu Konkurs und Vergleich, Vormundschaft und Erbschaft, Nachlass und Registersachen wie das Vereins- und Handelsrecht. Damit entfallen für ihn zeitraubende Sitzungen, die Kollege Nissen für seine Strafsachen einberufen muss. Storm ist vor allem gebun-
den an den Schreibtisch im Schloss, wo das Amtsgericht im Mai 1872 eingezogen ist.
    Als die neue

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