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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Heiligenhafen den verwitweten Pastor Gustav Haase kennen gelernt und sich mit ihm verlobt. Drei Monate nach Lucies Beerdigung wird in Husum ab 24. Oktober drei Tage lang Hochzeit gefeiert. Kein Polterabend aus Respekt vor der verstorbenen Großmutter. Mehr als vierzig Gäste werden zum Festmahl erwartet in »Thomas Hotel«. Der Spaß kostet etwa 500 M., schreibt Storm an Karl. Lisbeth ist nun meine junge Frau Pastorin mit ihrem trefflichen Mann, lautet die Botschaft an Paul Heyse am Heiligabend 1879. Diese Verbindung ist ganz nach seinem Geschmack; schließlich ist die Tochter bei einem Studierten, der als Pastor etwas darstellt, unter die Haube gekommen. Nicht nur ein prächtiger Mensch, sondern auch ein menschlicher Pastor, so beurteilt Storm seinen Schwiegersohn. Klatsch und Tratsch in Heiligenhafen besagen aber, Haase sei ein Schürzenjäger; Storm glaubt es nicht bis zuletzt.
    Das Schicksal will auch die inzwischen neunzehnjährige Lucie in den Hafen der Ehe steuern. Mit ihren Pfunden ist es auf- und abgegangen. Storm mag keine fülligen Frauen, er liebt die elfenhaften Wesen, so eines wie die Phia im »Etatsrat«. Gewichtsprobleme begleiteten Lucie von Kindesbeinen an, und Vater Storm, der gern auch dieses Lebensproblem dirigieren möchte, nimmt daran schulmeisterlich Anteil.
    Für Lucie, das ist völlig normal für eine Tochter aus gutem Hause in dieser Zeit, ist das Gymnasium nicht vorgesehen, schon gar nicht ein Studium, sondern erst einmal die Nähschule. Dort, bei Fräulein Jacobsen, wird auch Englisch und Französisch gesprochen; aber Lucie ist nicht sprachbegabt, auch nicht so musikalisch wie ihre Schwestern Lisbeth und Elsabe, die später immerhin das Konservatorium besuchen dürfen.
    Wohin mit dieser Tochter nach der Konfirmation? Storm schickt sie für ein Jahr auf das »Mannhardtsche Institut« in Hanerau, um Unterschied zu lernen wie man sagt , schreibt Storm an seinen Bruder Otto nach Heiligenstadt. Lucie kann sich für diese »höhere Töchterschule« nicht begeistern. Lieber würde sie nach Paris gehen. Storm hat für die Reiselust seiner Tochter kein Verständnis; auch heute ließe ein Vater seine sechzehnjährige Tochter nur mit Sorgeblick von Husum nach Paris ziehen. Wer sollte sie dort beaufsichtigen? Hanerau ist das Nachbardorf von Hademarschen, da wohnt Bruder Johannes mit seiner Familie. Dort kann sie unterkriechen, vor allem: Dort steht sie unter der Familienaufsicht des Bruders.
    »Unterschied lernen« heißt: Du sollst wissen, was sich für dich gehört und was nicht. Hier reitet Storm kein Bildungs-Steckenpferd oder eine von seinen spleenigen Ideen, sondern er handelt wie andere Väter auch; Unterschied lernen ist noch heute ein Thema. In Hanerau ist Lucie zum ersten Mal für längere Zeit außerhalb der Reichweite ihres Vaters. Während Dr. Johannes Mannhardt und Frau Helen Mary, geborene Vavasseur, Unterschied lehren, entwickelt Lucie tüchtig Appetit. Zu Weihnachten 1876 schreibt Storm an Karl nach Varel: Lute wird morgen (Sonntag) zurückerwartet; sie wiegt 137 {Pfund} [Pfund], worüber man aber zu ihr nicht reden muß; unsere feine Großmutter wog in der Jugend 136 {Pfund}, u. verlor dann 30 in einem Jahr . Wer hat Storm über das Gewicht seiner Tochter informiert? Das Institut? Lucie selber? Storm findet dieses Sorgenthema in der eigenen Familiengeschichte. Dick oder dünn, Magenbeschwerden und Brechübel – das ist in seiner Familie das altbekannte Leid, und er selber kann sein Lied davon singen.
    Lucie singt in Storms Gesangverein, und Storm muss tüchtig mit ihr üben. Im gemischten Chor findet sie eine bunte Gesellschaft von Männern und Frauen, nicht nur Übungsabende. Da werden Sängerfeste gefeiert, außerdem rufen Honoratioren in Husum zum Tanztee und zum Unionsball auf. Doris putzt ihre Stieftochter heraus: Ich hatte Lute so schön, wie irgend möglich gemacht (…) sie sah sehr niedlich aus, hat auch leidlich viel getanzt u sich gut amüsiert, das ist ja wohl doch die Hauptsache, eine sehr gesuchte Balldame wird sie wohl nicht werden. Warum Doris das befürchtet, steht ebenfalls im Brief an Lisbeth: Unsere Lute ist sehr stark geworden u hat dadurch nicht äußerlich gewonnen .
    Lucie hat die Schauspielerbegabung ihres Vaters geerbt und steht als »Dornröschen«, auch als »Fremde Dame« auf der Bühne. Sollte sie also Schauspielerin werden? Ihr Talent weist in die Richtung. Aber Schauspielerei, so sehr Storm auch den Tingeltangel liebt und für seine Novellen und

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