Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Grundbuchordnung 1873 in Schleswig-Holstein eingeführt wird und die Amtsgerichte zuständig werden für die Grundbuchprotokolle, kommen neue, ungewohnte Obliegenheiten auf Richter Storm zu. Darüber klagt er gegenüber Gottfried Keller, dem Junggesellen in der Obhut seiner Schwester Regula, er denke fortwährend daran, noch etwas von meiner armen Seele zu retten; denn die jetzt auch für mich begonnene Umwälzung des Grundbuchwesens und zum Oktober des ganzen Justizwesens – lauter neue detaillirt andre Gesetze – drohen auch die ewige Jugend, auf die wir Poeten sollen Anspruch machen können, zu vernichten .
Neuorientierung und Umstellung sind für den kränklichen, im Dienst ergrauten und mager gewordenen Storm, der sich schon auf Lebensabend und Pension, Dichten und Denken in Hademarschen festgelegt hat, eine große Herausforderung. Sie wären auch für einen gesunden Kollegen ohne poetischen Ehrgeiz schwer zu bewältigen.
Verdrossen, müde, gleichgültig? Die Stimmung hat den Schwung verloren. Alte Plagegeister fallen über ihn her und singen das bekannte Lied von der verlorenen poetischen Kraft, vom verbrauchten Körper, vom schwindenden Geist und fehlenden Geld. Reicht’s noch für den Neubau in Hademarschen? Denn meine Kapitalien habt Ihr Söhne alle verbraucht durch –, ja Eure Faulheit, klagt Storm seinen Ernst an.
In der entscheidenden Pensionsfrage erweist der Jurist Wilhelm Petersen sich wieder einmal als treuer Freund; er besorgt in Schleswig Unterlagen aus Storms Personalakte und lässt erforderliche Kopien anfertigen. Storm verlangt einiges von ihm, zeigt sich gleichwohl in rührender Dankbarkeit: Ihre werkthätige Freundschaft ist mir wahre Erquickung in dieser öden und mich etwas ruinierenden Uebergangszeit . Er will unbedingt wissen, ob ihm etwa seine Advokatenjahre für die Altersversorgung angerechnet werden. Da hilft Petersen weiter mit seinen Beziehungen zu Seiner Hochwohlgeboren, dem Königl. Landgerichtspräsidenten Herrn Krah in Flensburg. So schreibt Storm die Adresse auf den Brief, in dem er um Versetzung in den Ruhestand bittet. Neun Anlagen fügt er bei. Auch ein amtsärztliches Attest des Husumer Kreisphysikus Dr. Eller liegt bei; es wiederholt im Wesentlichen sein letztes Gutachten, in dem der Arzt einen mehrwöchigen Erholungsurlaub für den Herbst 1879 befürwortete: Storm leide seit Jahren an krankhafter allgemeiner Nervenreizbarkeit, er werde von krankhaften Geruchsempfindungen, so auch fortwährend von Kopfschmerzen geplagt. (…) Da in seiner Familie wiederholt Gehirnerweichung mit tödlichem Ausgang vorgekommen, fürchte er, daß auch seine Kopfschmerzen der Anfang jenes gefährlichen Übels sein dürften, und wünsche er, wirksame Maßnahmen gegen dasselbe zu ergreifen. Aus der Sicht des Amtsarztes ist Storm als dauernd unfähig zur Erfüllung seiner Amtspflichten anzusehen.
Das Gesuch wird weitergeleitet an das Oberlandesgericht in Kiel, von dort geht es an das Finanz- und Justizministerium nach Berlin. Am 5. April 1880 lautet der Beschluss, dem g. Storm im Wege der Gnade die Zeit vom 20. Februar 1843 bis 22. März 1852 – die Advokatenjahre anzurechnen (…). Er genießt die allgemeine Achtung und ist auch als Dichter und Schriftsteller rühmlich bekannt. Die Entlassungsurkunde ist ausgestellt am 12. April 1880; das Dienstende ist demgemäß seinem Wunsche entsprechend zum 1. Mai d. Js. verfügt.
Der Dienstherr hat souverän und auch im Sinne der Fürsorge entschie-
den, denn er weist ausdrücklich auf Storms Bedürftigkeit wegen seiner noch auszubildenden acht Kinder hin. So zeigt der Staat Preußen sich menschlich gegen einen seiner strengsten Kritiker. Storm nimmt das erstaunt zur Kenntnis, weil mir nicht allein sämtliche Advokaten jahre , sondern sogar Tage angerechnet, so daß eine Pension von 3483 M. herauskommt, was über mein Erwarten ist, teilt er Wilhelm Petersen mit. Ein Grund, seine Meinung über Preußen zu überdenken, ist ihm das nicht.
In Husum ist das Geschrei über unsern Fortgang groß, schreibt Storm an Heyse. Wer wird da geschrien haben? Die Nachbarn aus der Wasserreihe? Der Bäcker Rothgordt schräg gegenüber, der Tischler Staak ein Haus weiter, der Schlachter Behrens, der Schiffer und Wirt Detleffsen? Wie hat Storm sich von seinem geschätzten Kollegen Nissen verabschiedet? Was haben die beiden sich noch zu sagen? Was hat er seinen Mitarbeitern im Schloss gesagt? Davon erzählt er nichts. Dort wohnt er vorläufig, nachdem seine Familie am
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