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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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23. April mit Sack und Pack nach Hademarschen gezogen ist in eine gemietete Sechszimmerwohnung, gegenüber der Baustelle, wo die Handwerker das neue Haus bauen.
    Storms Gesangverein gibt seinem Dirigenten zu Ehren im »Thomas-Hotel« eine Festtafel, an welcher cirka zwanzig Herren teilnehmen werden, schreibt das »Husumer Wochenblatt«. Zum Abschied überreichen seine Sänger ein Notenpult, dazu einen Taktstock aus Elfenbein. Anfang Mai reist Storm seiner Familie hinterher, zieht ein in die Mietwohnung und sieht vom Fenster aus, wie die Mauern seines Hauses in die Höhe wachsen.

Die Söhne des Senators
    Schon bald schlägt er einen fröhlichen Ton an: Mir geht es hier vortrefflich. Das Richtfest ist gewesen, der Richtspruch wurde vom ältesten Handwerker aufgesagt, die Richtkrone hängt über dem Dach, Handwerker, Bauherr und Familie haben gefeiert, getanzt und Bier getrunken. Gute Stimmung überall, besonders bei Storm, denn vor zwei Tagen hat er seine Novelle »Die Söhne des Senators« beendet, geschrieben hat er sie Petersen zu Gefallen, der das Tragische nicht leiden kann, eine kleine freundliche Geschichte, heißt es im Brief an Gottfried Keller. Storm hört auf die Verbesserungsvorschläge seines Schleswiger Freundes; er widmet ihm die Novelle. Die fertige Schöpfung ist bei ihm, wie bei jedem anderen Künstler, mit Glücksgefühlen verbunden, so fühlt auch ein Handwerker, der mit Genugtuung auf das geschaffene Stück blickt. Storm kann zufrieden auf diese Arbeit sehen, die er, wie üblich, unter nervenaufreibenden Umständen schrieb.
    Um sie zum glücklichen Ende zu bringen, ist er abgetaucht, wieder einmal in die Familiengeschichte, erzählt aus der Perückenzeit von Wohlstand und Wohltäterschaft, von Herrschaften, die französisch sprechen und viel Personal beschäftigen. Eine gute alte Zeit, die Storm beschwört und in deren Beschwörung er sich offensichtlich so wohl fühlt, dass er einen heiteren, unbeschwerten Ton regieren lassen kann. Dem »Vetter Christian« ist sie damit verwandt, erreicht ihn aber nicht ganz. Paul Heyse, der gerade in Paris weilt, äußert sich so: Er habe »Die Söhne des Senators« mit großem Vergnügen und Stil-Gourmandise kennen gelernt . Ein Streit der Söhne des Senators zeigt sich gegenständlich in einer Mauer, die der verbohrtere Bruder nach und nach höher mauern lässt. Sie fällt, als er seine Verantwortung für das Erbe erkennt, das ihm durch Fleiß und Tüchtigkeit seiner Vorfahren in den Schoß gefallen ist. So kann der Dichter den Familienstreit der Söhne des Senators in einem Happy End ausklingen lassen. Verhaltener Humor, tragende Leichtigkeit, Schmunzeln beim Leser ein letztes Mal; Storms Werke haben davon zu wenig, und daran leiden sie.
    Er selber wird in dieser Zeit getragen von einer Stimmung heiteren Glücks; Freude und Erleichterung über Ernst, der in Berlin die große Staatsprüfung zum Gerichtsassessor bestanden hat. Der telegraphiert am 26. Mai ein einziges Wort: Bestanden . Seine Schulden? Davon will Storm erst mal nichts wissen. In Hademarschen gibt es eine Examensfeier mit Familie und Freunden und mit Maibowle. Storm beobachtet, wie die Dachdecker das Schieferdach decken. Für Erich Schmidt malt er eine Haus-Skizze in den Brief und schildert, wie er – Es ist Sommer voller Sommer – in seinem Bau herumklettert, in die Landschaft schaut und von Glücksgefühlen übermannt wird: Wie köstlich ist es zu leben, bloß zu leben . Das sagte er sehr ähnlich schon vor zehn Jahren, eines Tages im Juli, am Vorabend des Deutsch-Französischen Krieges, Ferdinand Tönnies hörte ihm in der Glasveranda seines Elternhauses zu: »Ich liebe das Leben grenzenlos. Ich möchte immer leben.«
    Nicht überraschend: Diese Stimmung verfliegt dem Dichter schon zehn Tage später, und schwere Zweifel plagen ihn: Du Narr, da hast du dir ein großes steinern Haus gebaut; für wen denn wohl? Doch wohl kaum für dich selber? schreibt er seinem Freund Georg Lorenzen, denn die Gartenpforte am Eichendorffschen Paradies Hademarschen klemmt wieder einmal.

Altersjahre in Hademarschen
1880–1888

Blick durch das Poetenfenster:
Eichendorffsche Wald- und Wiesengründe
    In den letzten acht Jahren seines Lebens in Hademarschen arbeitet Storm gewissenhafter denn je. Das ist auch ein erstaunlicher Kampf gegen die nach und nach Besitz ergreifende Altersschwäche und gegen mehr und mehr zupackende Krankheiten. In keiner Lebensphase ist der Briefaustausch mit Kollegen und Freunden so

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