Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
über das Haus.
Seine klaren Vorstellungen, sein zupackendes, von Lebenspraxis unterrichtetes Denken sind das gute Erbteil seines Vaters. Mit dessen Blick fasst Storm den zukünftigen Garten auf dem »Botterbarg« ins Auge. Vor allem schnell wachsende Tannen will er dort pflanzen, auch Linden, Ahorn und Ulmen, ebenfalls Eichen und Buchen, deren härteres Holz längere Lebensdauer verspricht. Wohin aber sollen die Obstbäume, vor dem Hause, seitwärts vorne am Hause? lautet die Frage an den Hamburger Freund Hans Speckter, bald nachdem Storm das Grundstück erworben hat. Noch im Herbst lässt Storm einige Hundert Bäume u. Büsche nach einem Gartenplan dort pflanzen; aber die Bäume müssen erst rauschen, und wer weiß, ob sie es dann für mich thun? s chreibt er im darauf folgenden Frühjahr schicksalsergeben an Gottfried Keller.
Wenn der Dichter, gehoben durch den »Botterbarg« und durch das zweite Stockwerk, in seiner Poetenstube am einflügeligen Fenster sitzt, blickt er weit hinaus. Hier oben sammelt er Eindrücke von der Landschaft, hier oben bedenkt er Garten und Gartenwirtschaft, die er in dieser Größe noch nie sein Eigentum nennen konnte. Hier liegt die Aussicht auf wahrhaft Eichendorffsche Wald- und Wiesengründe, und an Erich Schmidt richtet er diese Worte: Ich schaue weit hinein in die Lande, auf die bläulichen Nebelhüllen, die den fernsten Wald nur kaum erkennen lassen .
Blick zurück in die Wunschkindheit und auf den Traum von Unschuld und Liebe, Liebe und Kunst. Dieser Traum, Storms großer Einflüsterer, weiß nichts vom Tod, kennt nur das ewige Leben. Das Wort »Lande« lässt Storm sich auf der Zunge zergehen, es ist wie ein brauner Kuchen aus dem Weihnachtsstück »Unterm Tannenbaum«, der die Erinnerung anfacht und Bilder aus der Kindheit in der Hohlen Gasse heraufholt. Damit ist der Dichter im Lande Eichendorff. Heimat als Gedanke und Erinnerung, als göttliche Ruhestatt, auch das ist Hademarschen. Und doch dichtet Eichendorff Bald werd ich dich verlassen, / Fremd in der Fremde gehen. Damit ziehen Wehmut und Todessorge ein in den Blick aus dem Fenster.
Der Dichter hält stand, sein Blick bleibt klar und ungetrübt: draußen, wo jetzt stiller Abendschein liegt, gleitet anscheinend lautlos und langsam der Dampfwagenzug in die Landschaft hinaus, wo ich ihn weit zwischen Wäldern und Feldern verfolgen kann; es ist wie im theatrum mundi, das mich als Knaben einstmals entzückte .
Schon am ersten Tag des Einzugs schreibt er an Gottfried Keller: Mein Zimmer liegt oben in der Nordost-Ost-Ecke; es würde sehr hell sein; aber matt-resedagrüne Tapeten und schwere Jute-Vorhänge geben dem Ganzen ein behaglich gedämpftes Licht. Keller heimelt Storms Beschreibung der neuen Arbeitsumgebung an, auch er braucht für die richtige Schreibstimmung das abgeschirmte Licht: philiströse Naturen wollen stets die Sonne in der Stube haben, während es sich so gedankenhell und ruhig weilen läßt, wenn man im klaren Schatten sitzt und der Sonnenschein draußen auf dem Lande liegt. Hier spricht auch der Maler und Zeichner Keller, der das grelle, Schatten werfende Sonnenlicht meidet. Von der Aussicht in der Poetenstube erzählt Storm immer wieder, er genießt sie doppelt, denn er hat seinen Geruchssinn verloren, er kann seit fast 2 Jahren keine Blume, keinen Frühling, keinen Herbst mehr riechen, schreibt er an den Kollegen in Zürich und: Ich wollte die schöne Fernsicht auf den vorstoßenden Wald im Mittelgrunde und weiterhin auf das, im Spätherbst oft prächtig überschwemmte, Thal der Gieselau nicht missen .
Von der Gieselau sind heute nur noch Reste sichtbar, der obere Lauf beispielsweise, der aus dem Albersdorfer Mühlenteich fließt und bei Wennbüttel in den Nord-Ostsee-Kanal mündet. Früher floss die sich schlängelnde Gieselau in ihrem Tal der sich gleichfalls schlängelnden Eider entgegen. Als dem Nord-Ostsee-Kanal dort das Bett gegraben wurde, verschwand der kleine Fluss. Der alte, obere Lauf heißt heute Gieselau-Kanal, eine mittels Kanalschleuse geregelte Wasserverbindung zur Eider.
Storms Blick in die Niederung des Gieselautals ging auch in Richtung Bokhorst. Dort hatte Bruder Johannes sich schon 1851 seinen Besitz erworben. Er betrieb hier seine erste Holzhandlung, die unmittelbar an einem kleinen, seit vierhundert Jahren benutzten Hafen lag. Hier wurde das Holz aus den Hanerauer Wäldern auf Lastkähne, sogenannte »Eiderbollen«, geladen, auf einem Stichkanal erreichten sie die Gieselau,
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