Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
danken für seine aufopfernde Hilfe, die Archimedes noch bis in seine letzten Stunden spüren durfte. Demütig und schicksalsergeben hatte sie meine Hand ergriffen, und ein paar fieberheiße Lippen drückten sich darauf . Dank hin, Dank her, diese Szene sieht ganz wie viele andere in den Storm-Novellen aus: Eine Frau in Sack und Asche beugt sich vor der Autorität des Mannes, mitten hinein in seinen Zauber, denn zwischen den Zeilen sieht man den Dichter Storm hocken und hört ihn sagen: Phia habe von Anfang an nur den Erzähler geliebt.
Unter dem Dache des Etatsrats lagen zwei Leichen, Phia und ihr Kind. Dann kommt der Begräbnistag. Herr Käfer hatte am selben Morgen eine Reise angetreten. So machte sich auch damals der junge Ørstedt aus dem Staub, floh zu seinen Eltern nach Kopenhagen. Ich habe kluge und gereifte Frauen an solchen elenden Gesellen verderben sehen, warum denn nicht ein dummes unberatenes Kind, sagt die Hilfserzählerin »Tante Allmacht«. Und als wenn der Dichter noch einen Nachruf auf die arme Schwester hinzufügen möchte, lässt er den Erzähler die Erinnerung an die in der Irrenanstalt verstorbene Cäcilie wachrufen: Ein Elfenkind sei sie nicht geworden, nur ein verdämmernder Schatten, der mit anderen einst Gewesener noch mitunter vor den Augen eines alten Mannes schwebt .
Wer anders als Storm kann mit dem alten Mann gemeint sein? Es passt, wenn der verrückte Etatsrat mit dem Blick auf den Beerdigungszug, der Phia und ihr Kind zu Grabe trägt, Ungehöriges hinüberrufend, einen Satz sagt, der unverbesserlicher, schönster Storm aus seinem heidnischen Dickschädel ist: Contra vim mortis . Gegen die Macht des Todes. Wer wollte hier nicht zustimmen!
Kirchenmänner zum Beispiel. Storms Vertrauter, der von ihm geschätzte Theologe und Pädagoge Heinrich Schleiden aus Hamburg, findet die Novelle von so unerquicklicher Art , einen solchen Etatsrat könne er sich als Hauptperson der Novelle nicht vorstellen. Die Geschichte ist zwar traurig, aber nicht tragisch, schreibt er in einem Brief an Storm. Ein anderer Theologe, Storms Neffe Ernst (1854–1931), seit 1881 Pastor in Süderstapel, waltet seines Amtes, hebt den Prediger-Zeigefinger und schreibt, dass ihn der »Etatsrat« anwidere, er vermisse den sittlichen Gehalt. Hier prallen Dichter- und Theologenverstand hart aufeinander, und Storm setzt mit so empörten wie gesetzten Worten dem jungen Mann, der in der Sache »Etatsrat« als gerechter Kammacher auftrete, das eigene literarische Glaubensbekenntnis entgegen: Wenn Du bei dem edlen Kern der Dichtung von einem abschüssigen Wege sprichst und Deinen alten Onkel davor warnst, so mag dieser Weg wohl auf dem religiösen Gebiete liegen, wohin ich freilich Dir nicht folgen kann .
Da klingt Storms Stimmungsbericht zur Lage dieser Novelle wie ein Ruf aus dem Munde des verrückten Etatsrats selber, der bis in Kurland hinein fortfährt bei zarten Frauen u. jungen Predigern Schrecken zu erregen , wie er in einem Brief an Paul Heyse schreibt. Es ist der Etatsrat, der aus der Erzählung heraustritt, sich in Storm verwandelt und auf den Protest, den seine Novelle hervorruft mit Hohn und Spott reagiert, sich selber stärkend im eigenen Glauben gegen die Kirche und ihre irdischen Vertreter. Da zeigt Storm mit dem heidnisch-gotteslästerlichen Geist seines Etatsrats Flagge, steht allein und furchtlos da in der literarischen Landschaft seiner Zeit, trägt, nur vom Alter gebeugt, seine Botschaft hinaus in die Welt.
Spuk im Amtsrichterhaus
Inzwischen bekleidet Sohn Ernst die Stelle des preußischen Amtsrichters in Toftlund bei Tondern. Wankelmut, Schwäche, Gleichgültigkeit haben ihn zweifeln und zaudern lassen zwischen dem Wunsch, Advokat oder Amtsrichter zu werden. Zugreifen ist nicht seine Sache. Er greift aber nach wie vor gern zur Flasche, macht sich wichtig, spielt den Saloppen und gibt, alter Gewohnheit folgend, mehr Geld aus, als er in der Tasche hat. Zweitausendvierhundert Mark Schulden schleppt er mit sich herum. Storms Angst und Sorge, diesen Sohn weiterhin unterstützen zu müssen, ist nur allzu berechtigt; denn die Töchter, die noch auf Aussteuer und Mann warten, so befürchtet er, würden dann zu kurz kommen. Mit seiner Verlobten Maria Krause hat Ernst aber einen guten Griff getan. Sie auch mit ihm? Die Verlobungszeit wird für die siebzehnjährige Maria eine Durststrecke; sie ist den Launen des charakterlich schwachen Verlobten ausgeliefert. Sie schenkt ihm trotzdem einen Halt, den sein Vater
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