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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Samos herbeschworen wird. Wie gern probirte ich es auch einmal! Laß mich doch sogleich hören, wenn Du Näheres, auch über die Weise etwa früherer Vorgänge erfährst oder jetzt was passiert . Auch an Gottfried Keller geht die Nachricht vom Spukhaus in Toftlund. Storm setzt in seinem Brief an wie zu einer Geisternovelle: es soll ein großes halbbäuerliches Haus sein, in dem auch schon die jetzt ausgestorbenen oder gestrichenen Hardesvögte des alten regime gehaust haben, mit großem wüsten Garten. Außer dem Amtsgericht bei Tage haust er [Ernst] noch als Junggeselle des Nachts allein darin. Schon seit Jahren hat es den Ruhm, daß es darin, und zwar ganz energisch, spuke . Keller, oft mit dem Schalk im Nacken, nimmt die Sache nicht so ernst, fängt den Ball auf, wirft ihn zurück und schreibt … nach genossener Pfingstzeit erproben Sie vielleicht den Spuk des dritten Mannes im Amtshause von Toftlund. Da können Sie leichtlich eine Ihrer geheimniß- und reizvollen Hausgeschichten aushecken,
nur darf es keine ernstliche, wenn auch pur mythologisch gemeinte Geistergeschichte sein; dergleichen soll man in dieser Zeit des Spiritisten-Unfuges und der Schwachköpfigkeit unterlassen .
    Storm wird die absichtlich oder unabsichtlich verpackte Nachricht im Wort ernstliche nicht überlesen haben, und er weiß, dass er einem aufgeklärten, klugen Kollegen mit funkelndem Witz gegenübersteht, er rudert zurück, schildert sein Nordfriesland als Heimath des zweiten Gesichts und er stehe diesen Dingen im einzelnen Falle zwar zweifelnd oder gar ungläubig gegenüber; nicht daß ich Un- oder Uebernatürliches glaubte, wohl aber, daß das Natürliche, was nicht unter die Alltäglichen Wahrnehmungen fällt, bei Weitem noch nicht erkannt ist . Da hat der geschickte Rhetoriker Storm schnell seinen Kopf aus der von Keller geworfenen Schlinge gezogen. Vom Spuk im Amtsrichterhaus ist fortan nicht mehr die Rede; aber »schichtig kieken« vom Deich aus in wabernde Nebel über der Nordsee und Spökenkiekerei hinter dem Deich, wo immer noch das Volk seinen alten Göttern opfert, das hält Storms Heidenkopf weiter gefangen.
    Nicht nur mit der Spökenkiekerei ist Ernst den Fußstapfen seines Vaters gefolgt, er hat auch das hypochondrische Naturell geerbt und abgeguckt, auch die verwünschte, lebenzerstörende Eifersucht, mit der Storm sich während der Verlobungszeit selber und vor allem Constanze quälte, hat sich häuslich beim Sohn eingerichtet mitsamt dem Verhaltensmuster, der Braut den Umgang mit Männern in der Gesellschaft zu verbieten, selber aber mit seinen Kavalierskünsten bei ihr anzugeben. Als seine Braut Maria bei Frau Amtsrichter Bachmann Haushaltwesen lernen möchte, schreibt er großspurig: Ferner möchte ich, daß Du das Jahr außer dem Haus in einer Familie meines Standes verlebst, ich meine in einer gebildeten Familie, Bachmann ist ein guter Mann, gebildet ist er nicht, ebenso nicht seine Frau, im Gegentheil sie ist von der verwerflichsten Halbbildung, die jetzt so viel herumtriumphirt. (…) Glaubst Du denn – Du schreibst »es ist ganz gut, daß ich mich fügen lerne« – daß ich Deinen Willen von Frau Bachmann gebrochen sehen will? Wenn Dein Wille gebrochen werden muß, so will ich ihn brechen, kein Andrer .
    Ernst ist nicht nur vor seiner Verlobungszeit als Trunkenbold aufgefallen; jetzt wird ein Disziplinarverfahren gegen ihn angestrengt. Vater Storm ist tief getroffen. Das sammelt sich auf Dein Haupt in allen Kreisen, in denen eine Geltung Dir nothwendig sein muß, diese studentische Trunkenheit, die doch der Anlaß zu der ganzen Sache ist, während Du die Ehre einer Frau und eines Amtes zu vertreten hast , schreibt er an Ernst. Die Sache verläuft günstig, aber der Vater sieht klar: Eines ist doch stehen geblieben, daß der erste Beamte des Orts sich total betrunken in einem öffentlichen Wirthshaus gezeigt hat, und das ist doch eigentlich so ungeheuer, daß ich jetzt kaum begreife, daß man Dich
so gelinde behandelt, und daß es Dir im Wiederholungsfalle gewiß den Hals brechen muß.
    Und doch lässt Storm einen neuen Ton heraus, Folge abnehmender Kräfte, die Platz schaffen für Entsagung und Gelassenheit, worin die Altersweisheit sich ihr Nest bauen kann: Ich weiß wohl, daß Du mir gegenüber ein selbstständiger Mann bist und ich keinen Einfluß mehr auf Dich habe, längst nicht mehr gehabt habe, aber das hindert nicht, daß ich Alles, was Du fehlst, sehr schmerzlich empfinde und daß wir doch immer wie

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