Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
eine Apotheke versprach, dieses Versprechen aber nicht hielt.
Storm hält die Schwierigkeiten der frisch Entlobten einerseits für unüberwindlich, andererseits aber rät er Lucie von voreiligen Schritten ab. Da antwortet seine Tochter: Lieber Vater! Eben erhalte ich Deinen Brief und danke Dir von ganzem Herzen dafür. Aus Deinen Zeilen geht aber hervor, daß Du glaubst daß ich diese Verlobung leichtsinnig aufgegeben habe. Das ist aber wahrhaftig nicht der Fall. Weiß Du, wer mich eigentlich zur Auflösung unseres Verhältnisses getrieben hat, das bist Du. Du hast mir gesagt, daß wenn wir katholische Kinder hätten, Du mich verstoßen und enterben würdest, nun sehe ich aber, daß Hermann immer orthodoxer geworden ist (…), willst Du also erlauben, daß wir katholische Kinder, oder jedenfalls Söhne haben, so knüpfe ich das Band gerne wieder an, was in den vergangenen 3 Jahren mein ganzes Dasein ausgefüllt hat. (…). Willst Du uns also in unserem Glauben gewähren lassen, so werde ich [ihm] mit offenen Armen entgegen eilen, (…). Glaube nicht, daß es leicht ist (…) die Verlobung mit einem Menschen, für den ich noch gar nicht viel gut genug war aufzuheben, denn ich habe ihn recht furchtbar lieb, ich weiß für den Augenblick überhaupt nicht wie ich weiter leben soll .
Nichts ist so einfach, wie es aussieht. Auch hier sind die Dinge verwickelt, denn Storm macht einen Rückzieher und berichtet Ernst aus seinem Brief an Lucie: Wenn sie nicht voneinander lassen könnten, dann wolle ich nicht dazwischen treten, sie sollten dann aber ohne Wank zusammen halten. Hier spüren wir einen Rest seines mit Constanze ausgetauschten kühnen Liebesentwurfs: Die Liebe ist das Größte und Höchste und setzt sich über alles hinweg. Storm nimmt auch die Drohung mit der Enterbung zurück. Sie kenne wohl ihren Vater, dass er in Erregung einmal übers Ziel schieße .
Auch mit Hermann Kirchner tauscht er sich aus, sein Brief an ihn ist menschlich ergreifend, zeigt Vater Storm von seiner starken Seite des Mitgefühls, Mitleids und Selbstmitleids, den Dichter und Menschen Storm mit einem Vermächtnis zu Leben, Liebe und Glaube, das er meisterhaft und ehrenvoll zum Ausdruck bringt, dabei allerdings ins Rutschen kommt und wieder einmal mittels Selbsttäuschung Tatsachen in ihr Gegenteil verdreht. Da haben wir fast den ganzen Storm:
Mein lieber Hermann! Mitten in meiner Trostlosigkeit über Hs [Hans, Storms Ältester] kommen mir schmerzliche Eröffnungen von Lucie über Euer Verhältniß. Ihr habt den Muth verloren, es ohne eine bestimmte Aussicht auf die Zukunft fortbestehen zu lassen. Ich weiß es mir eigentlich nicht zu denken, wie ich Dich, meinen guten, tapfern und mit aller Herzenswärme an unseren Geschicken teilnehmenden Hermann als nicht mehr zu uns Gehörigen ansehen soll. Aber Du weißt, ich bin des Glückes ungewohnt und betrachte die Dinge des Lebens mit einer, freilich etwas melancholischen, Gelassenheit. (…) Was bei Eingehung Eueres Verhältnisses für mich nur ein beunruhigendes Bedenken war, ist allmählich zur Ueberzeugung angewachsen: Du und Lucie sind beide in der christlichen Religion aufgewachsen; aber diese Religion hat leider, einen äußeren von Menschen gezimmerten Apparat um sich, der auf katholischer Seite weit mächtiger ist, als die Religion selbst; […] Deine Kirche, wie Deine Verwandtschaft würde in der Ehe mit Dir meine nicht allein im Protestantismus geborne, sondern in meinem Hause, wo freies selbstverantwortliches Denken als erste selbstverständliche Lebensbedingung gilt, aufgewachsene Tochter still oder offen zum Katholicismus drängen, sie würde jedenfalls ihre Kinder dahin gehen sehen; denn das Letzte würdest Du doch verlangen und gegen das Erste würde sie bei Dir, dem kirchlichen Katholiken, keinen Schutz finden, selbst wenn Deine Liebe für sie ihr solchen würde gewähren wollen.
Wäre das nicht und wäre das Band stark genug zwischen Euch, so würde ich sagen, haltet aus miteinander; es muß sich einmal wenden!
Wie es nun werden mag, Du bist mir und Mama so für immer lieb geworden, daß unser Herz Dich immer zu den Unsrigen zählen wird; und Du wirst auch uns nicht vergessen, sondern uns wie bisher an Deinem Ergehen Theil nehmen lassen. Mama, die von all dem Kummer auch körperlich ganz geknickt ist, läßt Dich herzlich grüßen, sie könne Dir jetzt nicht schreiben.
Ich schicke Lucie diesen Brief, damit sie ihn lese und Dir gebe oder sende. Dein alter betrübter Papa Th.
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