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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Lebensdrama‘s muss Storm in Hademarschen beenden. Und doch hängt Storms Herz an Hademarschen: Wo werd ich je so wundervoll wieder wohnen? heißt es im Brief an Erich Schmidt.
    Das Unglück von Wörth schlägt auch unmittelbar durch auf Doris: Mama hat sich ganz satt geweint vor Mitleid mit Hans , schreibt Storm an Elsabe. Neben dem Mitleid für Hans sieht Doris der Rückkehr ihrer beiden Stieftöchter Lucie (24) und Elsabe (22) sicher mit gemischten Gefühlen entgegen. Die beiden Töchter geben zu Hause ein kurzes Gastspiel, dann beginnt wieder die Suche nach einem Platz bei Geschwistern, Verwandten und Freunden. Lucie muss ihren Magen beobachten und Rheumatismus und Ischias weiter behandeln lassen. In Kiel praktiziert der Nervenarzt Dr. Neuber; der ist zu einer Operation ( Nerven-Dehnung oder Durchschneidung) bereit, schreibt Storm an Ernst . Daraus wird Gott sei Dank nichts. Auch sein Kieler Kollege, der Elektro-Therapeut Dähnhardt, wird eingeschaltet, er empfiehlt keine Elektroschocks, sondern sie müßte arbeiten, eine tägliche Pflichtaufgabe, wofür sie verantwortlich sei .
    Elsabe soll als begabte Pianistin ihr Klavierstudium in Weimar aufnehmen. Storm hätte seine Elsabe gern bei Familie Erich Schmidt als Untermieterin gesehen, der aber winkt ab. Dass Vater Storm seine Tochter in guter Gesellschaft wissen will – sie ist ihm so wichtig wie das Klavierspiel –, leuchtet ein, das versteht auch Erich Schmidt. Aber so selbstverständlich Storm dieses Unterkunft-Ansinnen erscheinen mag, so wenig selbstverständlich erscheint es dem inzwischen zweiunddreißigjährigen Familienvater Schmidt.
    Erst im Mai 1886 begleitet Elsabe ihren Vater auf der Reise nach Weimar; Storm selber will sie in die »gute Gesellschaft« einführen. Inzwischen hat
sie sich die Zeit vertrieben mit Besuchen bei Verwandten und Freunden,
mit Tanz und Klavierspiel. Nun erhält sie durch Vermittlung von Erich Schmidt, der gerade von der Großherzogin zum Leiter des Goethe-Archivs berufen wurde, ein Quartier bei Frau Pastor Ruppe. Storms Wunsch, seine Tage in Weimar bei Familie Schmidt unter Freundesdach zu verbringen, geht nicht in Erfüllung; er wohnt, zusammen mit Ferdinand Tönnies, im Hotel »Russischer Hof«, später beim ebenfalls von Schmidt vermittelten Grafen Kalckreuth. Tönnies begleitet Storm, weil er, wie Storm, Mitglied der neu gegründeten Goethe-Gesellschaft geworden ist und an den ersten Tagungen teilnehmen will.
    Der Weimarer Aufenthalt ist überschattet von den zunehmenden Magen-Darmquälereien. Statt an Veranstaltungen und Vergnügungen teilzunehmen, kroch ich ins Bett u. ließ andern Tags den Arzt holen.
    Trotzdem behält Storm die Tage von Weimar in guter Erinnerung. Frühling war’s ja und die schönste Gegend Deutschlands, schreibt er an Heyse.
Im Archiv des Weimarer Stadtschlosses liest er Goethes Briefe an Christiane, besucht dessen Haus am Frauenplan, das Anfang Juni 1886 seine Türen öffnet als »Goethe-Nationalmuseum«. Höhepunkt sind zweifellos Storms Besuche bei Hofe. Spuckt der Dichter etwa Gift und Galle ange-
sichts der hohen Herrschaft? Er fühlt sich bedenkenlos geehrt und gehoben von der Einladung, er sei so aufgenommen worden, als wenn ich recht was wäre.
    Storm, der seinen Söhnen bei Besuchen in der »guten Gesellschaft« strengste Bekleidungsvorschriften auferlegte, hält sich bei der Audienz am großherzoglichen Hof nicht an den verlangten Stil. Er tritt auf, wie Ferdinand Tönnies berichtet, mit seinem schönen Schlapphut statt mit dem vorschriftsmäßigen Zylinder.
    Zum guten Abschluss wird ihm die Reise noch versüßt, als er in Gotha vor 8 zum Theil bildhübschen Mädchen »Späte Rosen« und eine Reihe von Gedichten vorliest. (…) Wie sie lautlos und mir die hübschen Köpfe entgegenstreckend lauschten, besonders die schöne keusche, bescheidene, jungfräuliche Lansky mit den schönsten Augen, die ich – ich glaube es wirklich – je gesehen habe; ich trank wahrhaftigen Jugendnectar von jungen Lippen und aus märchenhaften Augen, schreibt Storm an Erich Schmidt in erprobter, aus dem Leben gegriffener Novellenrede. Der Name »Lansky«! Ein Déjà-vu-Erlebnis? In Storms Novelle »Draußen im Heidedorf« heißt die Slovakenmargreth Margarethe Glansky: dunkle Augen, weiße Zähne, üppige Lippen; nur ein Buchstabe trennt hier Storms Leben von seiner Novelle.
    Aber der Dichter kann auch auf dem Boden der Tatsachen von seinem Glück singen, fern aller Familiensorgen, Umzugsgedanken und einer

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