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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Krokus im Schloßgarten blühten, heißt es in der Novelle; vor sieben Jahren ist der Husumer Schlossgarten umgestaltet worden. Storm sieht die ersten Zeichen der später berühmt werdenden Krokusblüte in Husum. Das ist der Blick in die Zukunft, den die Novelle wirft, der Blick auf das, was nach Storm kommt, nach Meister Daniel, nach uns, den noch Lesenden und Lebenden. Eine Verbeugung des Dichters vor der Jugend erleben wir hier, er beleuchtet sie mit dem durch und durch menschenfreundlichen Zauber dieser Erzählung. Die Jugend rettet Meister Daniel, als er in letzter Hoffnungslosigkeit sein Leben drangeben will: »Er lebt noch! Er lebt aber noch!« schrieen sie der Frau entgegen, und die jugendlichen Gesichter glühten dabei von Lebens- und von Liebesfreude.

»Ein Bekenntnis«
    Von Leben und Liebe ist es nur ein kleiner Schritt zu Tod und Liebe. Davon erzählt Storms vorletzte Novelle »Ein Bekenntnis«. Sie behandelt ein Thema, das, zum bösen Gewächs geworden, längst seinen Körper gepackt hat und täglich schmerzhaft gegenwärtig ist. An Erich Schmidt ging das Stichwort schon am 17. Oktober 1885. Kurz zuvor hatte Storm sich während eines Besuches bei seinem Freund Schleiden in Hamburg Anmerkungen zum Thema der Novelle notiert und von Paul Heyse kam die Nachricht, daß er dasselbe Thema in einer neuen Arbeit »Auf Tod u. Leben« bearbeitet habe, wie Storm im Juni 1887 nach Fertigstellung der Novelle an seinen Verleger Westermann schreibt.
    Das Thema sucht Antwort auf diese Frage: Darf der Mensch einen unheilbar Kranken töten, wenn das sein ausdrücklicher Wunsch ist? Während es bei Heyse um eine Herzerkrankung geht, wählt Storm den Krebs; längst ist er selber an Magenkrebs erkrankt.
    Die Hiobsbotschaft, die der Hausarzt Dr. von Brinken seinem Patienten Storm überbringt, muss schon am 28. November 1886 erfolgt sein. Die Eintragung für diesen Tag im Braunen Taschenbuch lautet: Heute Eröffnung des Arztes .
    Im Februar 1887 nimmt er den alten Novellenplan wieder auf und beginnt mit der Niederschrift. Während er noch an seiner neuen Novelle arbeitet, schreibt Bruder Aemil nach einem Besuch Anfang April in Hademarschen an Wilhelm Petersen, Storms Kräfte hätten gereicht, ihn an die Bahn zu geleiten. Die Untersuchung ergibt folgenden Befund: Im Leibe fühlt man unter dem linken Rippenbogen eine gänseeigroße harte Geschwulst, die wohl kaum etwas andres sein kann als Krebs; ob dieselbe aber am Magen ist oder sonst an einem Teile des Unterleibes, ist schwer zu bestimmen . Aemil schenkt seinem Bruder keinen reinen Wein ein; er bespricht sich mit Dr. Brinken, nun heißt die Notiz im Taschenbuch: Mir sagte man, die Diagnose sei nicht ganz sicher; ich halte das für Schonung.
    »Ein Bekenntnis«, die Geschichte einer rettungslos an Gebärmutterkrebs Erkrankten, die sich von ihrem Ehemann, dem Arzt Franz Jebe, mit einer Überdosis Morphium töten lässt, verfasst Storm also im vollen Bewusstsein der eigenen unheilbaren Krankheit. Als er am 24. Mai die Novelle abschickt an Westermann, schreibt er an Erich Schmidt: Das fünfmonatliche Krankenlager war zu viel für den alten Körper, und von der Krankheitsreihe, die sich nach der anfänglichen Rippenfellentzündung entwickelte u. wieder verschwand, selbst Nierenstein und Nierensteinkolik, ist die letzte, die den häßlichen Namen »trockener Magenkrebs« hat, geblieben. Erschrecken Sie nicht zu sehr vor diesem Namen, das Uebel ist mit Condurango-Rinden-Decoct [Extrakt aus dem südamerikanischen Kondurangostrauch] vielleicht zu curiren .
    Nachdem Storm fünf Monate durchlitten hat, einen Weg gegangen ist, der ihn mehrmals an den schwarzen Seen vorbei führte, wie er an Gottfried Keller schreibt, nachdem er Weihnachten nur ein Schatten seiner selbst gewesen war, greift er zu, als er merkt, dass seine Kräfte wieder fürs Dichten und Denken reichen. Mit einem unerbittlichen, dicht auf das erzählte Geschehen gerichteten Blick, einmal unterbricht er wegen starker Nierenschmerzen, verschafft er sich nicht nur die Vorahnung vom eigenen Schicksal, sondern auch die Seelenstärkung durch den von ihm in Schach gehaltenen Tod, denn Schreiben ist Leben.
    Der Novellenanfang ist wieder altbekannter Storm. Er schreibt sich hinein in die Erzählstimmung; diesmal nimmt er dafür eine Reise nach Bad Reichenhall, das er 1872 anlässlich des Besuches bei Julius von der Traun in Leopoldskron kennen gelernt hat. Dort wirft den Erzähler die Gluthitze dieses Sommers fast um. Auch damit

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