Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
»lieben deutschen Land«, besonders aber mit dem lieben Gott lebenslang auf Kriegsfuß stand, hier doch einmal den Allmächtigen um Beistand anruft, kann nur verstanden werden als Gruß an die beiden alten Freunde Röse und Geibel, die dem lieben Gott vertrauten und mit ihm auf Deutschland hofften.
Röse gerät von einer schlimmen Notlage in die nächst schlimmere; Geibel hilft, Vater Röse kauft den Sohn aus dem Schuldgefängnis frei. Trotz allem vertraut Röse auf den lieben Gott. Der liebe Gott gibt seinen Segen nicht, trotzdem hilft er aus Röse-Sicht doch: Storm, es ist mein Abschiedsbrief von dir und vom Leben, habe Dank für alle mir so oft bewiesene Lieb und Treu; verschaffe mir fünf und zwanzig und wenn irgend, irgend möglich funfzig Thaler, […] und denkt dann zuweilen an den armen alten Lazarus, dessen Verbrechen war, daß er zum Wohle der Menschheit mehr leisten wollte, als man in diesen Zeiten leisten kann, an den Dr. Antonius Wanst, dessen Bestrebungen und Leistungen ganz gewiß in künftigen, über den großen Endzweck des Menschenlebens klareren Zeiten anerkannt und ihrem wahren Werthe nach gewürdigt werden.
Röse weiß aus dem eigenen tragischen Schicksal noch Theaterfunken zu schlagen und dem Leser ein Schmunzeln zu entlocken. Storm reagiert und schreibt an alte Freunde, auch an Geibel: Seine nicht zu entschuldigende Art, die Taschen seiner Freunde als die seinigen anzusehen, mag allerdings die Freunde abgeschreckt haben […]. Es liegt doch auch eine Größe darin, wie er, unbekümmert darum, dass die Welt ihm immer aufs neue den Rücken wendet, sein System unter Hunger und Not niederschreibt, und wie er jetzt in dem unerschütterlichen Glauben an die Größe und Heiligkeit seiner Erdenarbeit seinem einsamen Tode entgegengeht. Mein Herz will den jammervollen Untergang dieses innerlichst reichen und geliebten Menschen nicht fassen; mir ist, als tue mir meine eigene Jugend leid.
Welchen Schatz hat der komische Röse seinem Jünger Storm ins Herz gelegt? Er hat Weichen gestellt, den Weg der Poesie gezeigt und frei gemacht. Das sah Storm mit Liebe und Respekt, da war Röse ihm Vorbild, dem er Dank schuldete, weil er sich in ihm wiederfand.
Geibel muss ähnlich wie Storm empfinden und lässt sich, wenn auch widerwillig, anstecken: Wanst bleibt eben Wanst, und ich kann trotz allen Unsinns, den er vollführt hat, doch nicht los von ihm. Und weiter: Warum haben wir Protestanten nicht Klöster für Gescheiterte, die nichts mehr wollen, als bei geistiger Arbeit ausleben.
Röse starb an Lungentuberkulose auf elendem Krankenlager am 27. November 1859 in Kruft am Rhein. Dass sein Werk keine weitere Wirkung hatte, hat zwei Gründe: Zum einen stieß er mit seiner »Psychologie« an objektive Grenzen, die erst später naturwissenschaftlich erforscht und geöffnet wurden, und zum anderen ging seine Arbeit unter im Hegel-Rausch
des 19. Jahrhunderts, der noch bis tief ins 20. Jahrhundert seine Wirkung entfaltete.
Storm hat seine Erinnerungen an Röse aus seiner Alterssicht, fünfzig Jahre nach der von ihm beschriebenen Heine-Weihe-Feier, notiert. Dass sein Altersblick nicht unbedingt biographisch korrekt ist, kann man auch seinen Jugenderinnerungen in den Briefen und den autobiographischen Schriften anmerken. Gleichwohl hat Storm das Heinrich-Heine-Erlebnis, nachts in Röses Lübecker Wohnung, mehrmals mit seinem alten Freund in Verbindung gebracht, zuletzt in den beiden Entwürfen zu einer Tischrede anlässlich seines siebzigsten Geburtstags. Zehn Jahre vorher spricht Storm in »Meine Erinnerungen an Eduard Mörike« davon, wie Röse ihm mit der ihm eigenen Feierlichkeit […] eines dieser wunderbaren Lieder nach dem andern vorlas. 1859 gibt Storm eine Lyrik-Sammlung heraus: »Deutsche Liebeslieder seit Johann Christian Günther«. Er nimmt 21 Heine-Gedichte auf; allein Goethe gestattet er dieselbe Anzahl, Mörike druckt er siebenmal, Eichendorff nur fünfmal. In seinem Vorwort feiert Storm Heine enthusiastisch und mit einem Rückblick: Wem, der mit seinem »Liederbuche« jung gewesen, wäre nicht die Welt in einem Zauberlicht erschienen, als sei ihm eine zweite wunderbare Existenz geschenkt. In seiner anderen Anthologie »Hausbuch aus deutschen Dichtern seit Matthias Claudius« (1870) veröffentlicht Storm 27 Heine-Gedichte und nur 13 von Goethe.
Heine ist Storm also über Jahrzehnte hinweg wichtig, dabei hatte er ihn erst spät zur Kenntnis genommen; in der Verlobungszeit mit Constanze schreibt er noch
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