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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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diese einsame, von aller Welt abgeschirmte Waldlichtung ein erotisch aufgeladener Ort, wie er schon in der unvollendeten Erzählung »Celeste« auftaucht: Wir waren allein auf dieser blühenden Insel, abgeschlossen von allen übrigen Menschen der Erde , schreibt der Ich-Erzähler, und wenig später spricht sein Herz: Celeste, Celeste, sei mein Weib!
    Reinhard und Elisabeth finden keine Erdbeeren, suchen vergeblich nach den in erotischer Symbolik blühenden, süßen roten Waldfrüchten. Die vergebliche Suche kündigt das Schicksal der jungen Leute an: Sie werden kein Paar fürs Leben; Elisabeth kriegt einen anderen, Reinhard entsagt.
    Storms Kinderszenen erzählen wenig von Kind und Kindheit. Wenn die Kinder auch wie Kinder sprechen, so schimmert doch immer ein Erwachseneninteresse durch. Die Liebe, die die Kinder auf ihre besondere Weise »unschuldig« füreinander empfinden können, ist schon mit der Schuld und dem Leid ihres späteren Erwachsenenlebens beladen.
    Viel erfährt der Leser über die Mädchen, kaum etwas über die dazugehörigen Knaben. Die Mädchen, die Storm in seine Kinderszenen verwickelt, sind oft, wie Bertha aus Böhmen, fremdländischer Herkunft. Da ist Renate mit zwei dunkeln Augen und zwei braunen Ärmchen , ihr Angesicht ist von lieblich ovaler Bildung, die Stirn fast schmal und die obere Lippe ihres Mündleins ein wenig aufgeworfen. Da ist Kätti mit schwarzen Augensternen ; sie blickt mit heimatlosen Augen . Da ist Elke, Hauke Haiens Frau: Da brach es wie ein Strahlenmeer aus ihren dunklen Augen. Und da ist ein Bettelmädchen […] mit ihren verlangenden braunen Augen.
    Das Harfenmädchen in »Immensee« stammt, wie Bertha von Buchan, aus Böhmen. Trinke, mein böhmisch Liebchen! , ruft man ihr zu. Reinhard erhebt sein Glas und trinkt auf ihre schönen sündhaften Augen . Und das Mädchen aus der Weiten singt die hinreißenden Storm-Verse: Heute, nur heute / Bin ich so schön; / Morgen, ach morgen / Muss alles vergehn! / Nur diese Stunde / Bist du noch mein; / Sterben, ach sterben / Soll ich allein.
    Storm hat »Die arme Schönheit« im Auge. Schande macht reich und Schönheit ist arm, / […] Daß sich doch Gott nur der Schönheit erbarm. Zwei Verse aus dem Gedicht von Achim von Arnim, die Storm berührt und inspiriert haben. Ein Blick auf das berühmte Foto von Lewis Carroll, das seine »Alice« als Bettlermädchen verkleidet zeigt, das könnte Storms »arme Schönheit« gewesen sein. Nichts von Pornographie und Unredlichkeit, es
ist etwas von Vorstellung und Theater darin. Trotz der Lumpen, in die das Mädchen gekleidet ist, trotz ihres herausfordernden Blicks und des sinnlich gestellten Mundes, das Mädchen hat einen gepflegten, gut und glatt gekämmten Haarschopf, die Bettlergeste ihrer rechten Hand wirkt ungeübt, vor allem: Das Mädchen ist gut genährt, sie leidet keinen Hunger.
    So ein Mädchen lässt Storm auch auftreten im Februar 1846 in Segeberg anlässlich der Silberhochzeit der Eltern seiner Verlobten Constanze. Man spielt Theater, man trägt Gedichte vor; die ganze große Familie ist eingespannt, und Storm hat dafür gedichtet und mit allen geprobt. Gertrud Storm schreibt: Die […] zehnjährige Lotte stellte ein Bettelkind dar. Man hatte ihr ein zerrissenes Kleid und verschimmelte Schuhe angezogen, auch das Gesicht so weiß geschminkt, daß die Mutter bei ihrem jammervollen Anblick in Tränen ausbrach.
    So liegt auch der Blick auf den Stormschen Kinderliebesszenen, auch sie erstrahlen in Theater und Vorstellung. Sie sind zwar, wie das Alice-Foto, deutlich erotisch aufgeladen und so im wirklichen Leben eines Kindes schwer vorstellbar, trotzdem betören und bezirzen sie. Diese Kinderszenenbilder sind der Phantasie und Einbildungskraft, dem gebannten Blick des Dichters Theodor Storm entsprungen. Der spricht, bis ins Spätwerk hinein, hinter der einfachen Maske des Ich-Erzählers oder hinter der doppelten des Autors, und er spricht auch durch die Maske des unscheinbaren und undeutlich porträtierten Knaben oder jungen Mannes, den der Dichter so bezaubert und hingerissen sein lässt.

Zweite Husumer Periode
1842–1853

Untergerichtsadvocat Storm
    Storm ist jetzt fünfundzwanzig. Das Liebesunglück mit Bertha, der Misserfolg seiner jahrelangen Liebesarbeit am allmählich erwachsen werdenden Kind ist seine bisher größte Niederlage. Es ist alles doch umsonst gewesen , wird es später in der Novelle »Aquis submersus« heißen. Nun gilt es, zu retten, was zu retten ist: die

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