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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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Geschwister? Vor allem: Was geht vor in Mutter Jensen? Ob das Gedicht, das Storm ein knappes Jahr später schreiben wird und in seiner Novelle »Immensee« wie ein Liebes-Klagelied aus dem Mittelalter zu uns singt, hier Auskunft gibt?
    Meine Mutter hat’s gewollt,
Den Andern ich nehmen sollt’,
Was ich zuvor besessen;
Mein Herz sollt’ es vergessen;
Das hat es nicht gewollt.
    Meine Mutter klag’ ich an,
Sie hat nicht wohl getan;
Was sonst in Ehren stünde,
Nun ist es worden Sünde.
Was fang ich an!
    Für all’ mein Stolz und Freud’
Gewonnen hab’ ich Leid.
Ach, wär’ das nicht geschehen,
Ach könnt’ ich betteln gehen
Über die braune Heid!
    Dann geht der Wagen ab, in dem Doris sitzt. Haben Theodor und Constanze ihr hinterhergewinkt? Ist das die Entfernung , von der Storm in seinem Beichtbrief an Brinkmann spricht? Jammervoller, elender, schamvoller Abschied, wenn das Liebespaar der höheren Gewalt weichen und klein beigeben muss. In der Novelle »Im Schloß« hat Storm so einen Abschied beschrieben. Anna und Arnold, das Liebespaar, werden ebenfalls durch höhere Gewalt voneinander getrennt. Die erwachsene Anna blickt auf ihre Kinder- und Jugendzeit im Schloss zurück. Sie schildert den Aufbruch des geliebten Arnold, des späteren Professors. Während er sie zu suchen scheint, beobachtet sie ihn aus einem Gartenversteck, mag ihm nicht Adieu sagen: Ich sah noch, wie Arnold aus dem Garten trat, wie hinter ihm das eiserne Gittertor zuschlug. Ich rührte mich nicht; als ich nach einer Weile hörte, wie der Wagen über das Steinpflaster des Hofes rollte, warf ich mich auf den Boden und weinte bitterlich .
    Was in der Schlossgeschichte zum Happy End führt, geht in der Novelle »Immensee« unglücklich aus. Unglücklich? »Immensee, Novelle der Entsagung«, heißt sie. Seltsam gleich der Beginn: Ein alter, wohlgekleideter Mann, der Form und Stil bewahrt hat, er könnte Storms Großvater sein, erinnert sich, blickt zurück. Damit hat der Autor den Rahmen, der das Kennzeichen seiner Novellen ist. Die Erinnerung kommt und geht mit ihren Bildern. Kein durchgehender Handlungsfaden hält die Erzählung zusammen, sondern der Leser selber wird zum Besucher eines Erinnerungsmuseums, er selber spinnt den epischen Faden und wandert von einem Bild zum andern. Im Walde, Da stand das Kind am Wege, Daheim, so sind die Bilder überschrieben; es sind zehn Psychogramme, halb oder ganz verschleiert, Sprachbilder, die von den Eigenschaften und Fähigkeiten der Menschen erzählen, von ihren Leiden und Leidenschaften, ihrer Hoffnung und gescheiterten Hoffnung. Brodelndes, Loderndes wirkt hinter den Kulissen, und doch geht die Erzählung von Bild zu Bild ihren ruhigen Gang. Der Dichter hat Unordnung, Leid und Verhängnis ihre künstlerische Form gegeben, sie damit gebändigt und Trost gespendet, am schönsten im Lied des Harfenmädchens, das Storm in den Sinn kam während ich in argem Herbstschlackerwetter von Husum nach Tondern in einer Kutsche allein durch die öde Gegend fuhr .
    Reinhard konnte die große Liebe seines Lebens, Elisabeth, nicht heimführen. Seine Wunschträume liegen wie großes Schweigen über der Novelle. Elisabeth – ihre Mutter hat’s gewollt – ist mit einem anderen verheiratet worden. Gleichwohl endet Reinhards Leben nicht in Trübsal und Gram. Er sitzt im Schwerpunkt der eigenen Idylle, der Leser darf entspannen und sich selber da hineinwünschen. Das Bild des alten Reinhard ist allerdings von hoch bemessener Betulichkeit, bedeckt mit dem Staub von Biedermeier-Kitsch, der die Novelle nicht zum großen, aber doch zum kleinen Happy End führt.
    Tycho Mommsen, Theodor Mommsens Bruder, hat zum Erfolg dieser Novelle beigetragen. Nach einer Bildungsreise in Italien und Griechenland war er von 1848 bis 1850 Lehrer an der Husumer Gelehrtenschule und stand mit Storm in lebhaftem Austausch. Sie lasen gemeinsam Dante auf Italienisch und Storm besuchte ihn, wenn er Verse gemacht hat, und dem gelingen sie oft recht schön mitten unter dem Gequak seines Bambino , schreibt Tycho an seinen Bruder Theodor Mommsen am 24. Februar 1849. Der »Bambino« ist Storms und Constanzes erstes Kind, der am 25. Dezember 1848 geborene Sohn Hans.
    Kaum ist »Immensee« in der ersten Fassung im »Volksbuch auf das Jahr 1850 für Schleswig, Holstein und Lauenburg« erschienen, hat die »Norddeutsche Freie Presse« in Altona auch schon eine Besprechung im Blatt; ein Unbekannter äußert sich mit Häme und von oben herab. Tycho Mommsen liest

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