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DU HÖRST VON MIR

DU HÖRST VON MIR

Titel: DU HÖRST VON MIR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luis Algorri
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Aber da wollen wir hin.«
    Ich spürte, wie mir wieder das Blut ins Herz schoss, als es mir gelang, ihm wieder zuzulächeln. Noch hatte ich den frischen Geschmack seines Samens auf der Zunge und auf den Wangen die Farbe der Verachtung, mit der er mich nach dem Abspritzen ignorierte, aber das Schlimmste war die Gewissheit, dass sich etwas ganz Wichtiges verändert hatte: Jetzt, wo ich seinem Körper endlich berührt hatte, wo ich endlich seinen Schwanz in meinem Mund gespürt hatte, nachdem ich monatelang diesen Moment ersehnt hatte; jetzt, wo ich seine Lust gefühlt hatte, seine ungeheure Lust, neben mir, in mir; jetzt warnte mich etwas tief in meinem Inneren: ich begann, mich in meiner eigenen Unvorsichtigkeit zu verfangen, oder in meiner Sehnsucht, oder in meiner Liebe.
    Ich hatte eine Schwelle überschritten, jetzt gab es kein Zurück mehr. Er war nicht mehr in der Art mein, wie er es noch bis gestern gewesen war. Das, was geschehen war, konnte uns beide in völlig andere Persönlichkeiten verwandeln, als die, die wir bisher gewesen waren. Ich hatte den unbestimmten Eindruck, dass der Boden unter mir zu schwanken begann, dass mir etwas aus den Händen glitt: Bis dato war ich von uns beiden der Altere, der Lehrer, der Tröster, der Wissende. Jetzt war ich mir dessen nicht mehr sicher. Jetzt – und das hatte es zuvor nicht gegeben – hatte José etwas, was er mir zu verzeihen hatte.
    Aber er, José, lächelte mich mit jenem Witzfigurengesicht an, das sagen wollte: Du bist wohl verrückt geworden, wie sollen wir da denn raufkommen, und versuchte so zu tun, als  wäre nichts geschehen, fast schien es mir, als wolle er damit vorschlagen, dass wir das Geschehene vergessen sollten, um da weiterzumachen, wo wir gestern Abend aufgehört hatten, um sein Glücklichsein wieder herzustellen, sein Vertrauen in mich. Ich wusste, obschon ich es noch nicht glauben wollte, dass dies unmöglich war, dass ich das nicht mehr konnte, sondern – wie ich selbst kurz zuvor gesagt hatte – dass ab jetzt geschah, was er wollte. Aber... wenn ich mit ihm gemeinsam so tat, mit ihm gemeinsam das gefährlich Spiel Heute-ist-doch-gar-nichts-gewesen spielte, würde ich vielleicht meine Freude wieder erlangen können, würde ich vielleicht meinen Mut auf den Moment konzentrieren können, von dem ich träumte, seitdem ich ihn kennen gelernt hatte, auf den Moment, wo – dank eines Wunders, dass ich mir nicht einmal vorstellen konnte – er mir die Türen seines Herzens öffnen würde. Das war für mich ja bereits vertrautes Terrain, schließlich hatte er sie mir in der Vergangenheit bereits mehrmals geöffnet. Wenn ich aber das Geschehene für erobertes Terrain hielte und mich meinem ungestümen Verlangen, ihn unablässig küssen und herzen zu wollen, hingeben würde, so würde ich alles verderben. Also griff ich die Stimmung auf, die er mir mit seinem unschuldigen Lächeln anbot: »Was ist? Kommst du da nicht rauf mit deinem Rucksack, Kleiner?«
    Er lachte. »Wo du hinkommst, da komme ich auch hin.«
    »Das werden wir erst noch sehen«, flüsterte ich, mir fast auf die Zunge beißend. Warum sagte José immer mehrdeutige Sachen? Wir setzten uns wieder in Bewegung. Ich ging voran und beschleunigte den Schritt. Der Aufstieg nach Caín de Arriba war ein schmaler Ziegenpfad, der grob in den blanken Fels gemeißelt war, eine gefährliche und steile Wanderung, zur Rechten die fast senkrechte Felswand, zur Linken, in einem Meter Entfernung, der immer tiefere Abgrund  hinunter zum Fluss. Dazwischen der steinige, steil ansteigende Pfad. Ich setzte einen Schritt vor den anderen, im Rhythmus meiner Atmung. José blieb zurück.
    »Wirst du müde?«
    »Nein...«
    »Na dann weiter!«
    Und stell dich nicht so an, dachte ich, voller Rache. Als wir oben, auf der kleinen Alm, die ich so gut kannte, lang vor Mittag ankamen, schnaufte José wie ein Büffel, mit rotem Kopf und Schweißbächen auf Wangen und Stirn.
    »Sind... wir... da?«
    »Nein, das war erst die Hälfte der Strecke.«
    »Wirk... wirklich?«
    »Ach Quatsch, du Depp«, lachte ich, »wir haben es geschafft. Los, komm, wir bauen das Zelt auf. Such einen Stein, um die Heringe einzuschlagen.«
    In zehn Minuten war unser orange-blaues Zelt aufgebaut.
    José setzte sich ins Gras, das vom Regen in der Nacht zuvor noch feucht war und schaute in die Landschaft. Ich blieb neben ihm stehen.
    »Und? Was denkst du?«, fragte ich ihn.
    »Keine Ahnung. Ich bin überwältigt.«
    Gegenüber den uns umgebenden

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