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DU HÖRST VON MIR

DU HÖRST VON MIR

Titel: DU HÖRST VON MIR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luis Algorri
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abgetrocknet, anfing mich anzuziehen, steckte ich meine schmutzige Wäsche in die Tasche und zog mir direkt die Hose an. Wenn wir schon spielen, dann spielen wir beide, sagte ich mir, hinterhältig lächelnd. Ich ging zurück zum Zelt. José saß, mit dem Rücken zu mir und rauchte.
    »Hab ich lange gebraucht?«
    »Ach Quatsch, überhaupt nicht.«
    »Ist dir langweilig?«
    »Mir? Wieso? Mir ist doch nicht langweilig!«
    Ich räumte das ganze Gepäck ins Zelt, zog den Reißverschluss zu und verschloss ihn mit dem kleinen Vorhängeschloss.
    »Na gut, dann lass uns gehen. Geh du vor, denn jetzt geht's bergab. Pass auf die losen Steine auf, die sind in dieser Jahreszeit sehr rutschig.«
    »Ja, keine Sorge.«
    »Hey, was ist denn mit dir los? Du zitterst ja wieder.«
    »Ich? Quatsch, wieso sollte ich zittern? Nein, mir geht's gut. Los, lass und gehen.«
    Wir wanderten los. Ich sah ihn mir von hinten an. Selbst von hinten war unverkennbar, dass er rot wie eine Tomate war.
    Er hatte alles beobachtet.
    Ich lächelte und biss die Zähne zusammen.
    Er hatte alles komplett beobachtet.

    Wir durchschritten rasch das Dorf und nachdem wir die Brücke überquert hatten, stiegen wir direkt in die Klamm, die Garganta del Cares. Gleich am Anfang war sie wie ein Tunnel, eng und feucht. José beugte sich weit in die schmale Öffnung nach oben hinein, überwältigt von den beiden senkrecht parallel zueinander aufschießenden Felswänden, in die sich der Fluss scharf eingegraben hatte. Dann öffnet sich die Schlucht wieder zu einer hinreißenden Landschaft. Wir hatten nur unsere um die Hüften geknoteten Regenjacken, die Wasserflasche und den Fotoapparat dabei, den ich bediente: José lächelnd über eine der Tunnelöffnungen gebeugt; José vor einem gigantischen Efeu, der von weit oben herunterwucherte; José nervös, vor Schwindel schwankend, auf der schmalen Brücke, der Puente de los Rebecos, die sich über einen tiefen Abgrund spannte; José auf der Puente Bolin, Steine in den fernen Fluss schleudernd; José im Gegenlicht vor einem beeindruckenden Lichtschacht in der Klamm; José sitzend; José stehend; José von hinten, im Gehen (nur ich konnte auf diesem Foto seinen zauberhaften kleinen Hintern sich unter dem blauen Stoff bewegen sehen; die nackte zarte Haut die Nähte der Jeans berührend); José von vorn, wie er mich anlächelt...
    »Zieh doch nicht so ein blödes Gesicht«, machte ich mich hinter der Kamera über ihn lustig.
    »Ich? Was soll ich denn für ein Gesicht machen?«, errötete er, wurde lockerer und lächelte schließlich das Lächeln, das ich wollte.
    Die Wanderung, hin und zurück waren es mehr als zwanzig Kilometer, nahm den Rest des Tages in Anspruch. Am Anfang liefen wir bequem, betrachteten die Landschaft, machten Fotos, plauderten über dieses und jenes. Dann, kurz bevor wir nach Poncebos kamen, machte ein mörderisch steiler und steiniger Abhang die Tour zu echtem Sport. José, der nicht so daran gewöhnt war wie ich, zeigte Ermüdungserscheinungen.
    In der Dorfschänke tranken wir einen Kaffee, keine zehn Minuten lang. Den Rückweg, schon bei untergehender Sonne, machten wir schnellen Schrittes und sehr schweigsam.
    Die Feuchtigkeit, die mit der Dämmerung von den Hängen herunterkroch, wurde spürbar. Ich gab ein rasches Tempo vor, damit wir nicht erst in der Dunkelheit unser Zelt erreichten.
    »Hör mal, Javier...«
    »Ja, was denn?«
    »Warum machen wir nicht eine Pause?«
    »Bist du müde?«
    »Na ja, ein bisschen, es geht schon noch.«
    »Zwei Ecken weiter kommt der Wasserfall, dort können wir unsere Wasserflasche auffüllen. Schaffst du es noch, oder soll ich dich tragen?«
    »Ich schaff es schon«, lachte José.
    Er schaute mich wieder mit offenem Blick an. Wenn er sich vorgenommen hatte, zu ignorieren, was heute Morgen vorgefallen war, so schien es ihm zu gelingen. Aber ich wusste, ebenso wie er, dass da etwas zwischen uns stand, dass es ein Vakuum zwischen uns gab, das wir füllen mussten. Als wäre es die Stimme eines anderen, überraschte mich die Gelassenheit, mit der die Worte ohne diese Angst, die mich gepeinigt hatte, als ich ihn erst vor ein paar Stunden in der Hütte gestreichelt hatte, aus mir herauskamen. Wir saßen nebeneinander vor dem Wasserfall.
    »Möchtest du reden?«, fragte ich.
    »Ja, klar. Worüber denn?«
    »Na ja, heute Morgen ist etwas passiert zwischen dir und mir. Etwas, was zuvor nie passiert ist. Hast du es schon vergessen?«
    Er zündete sich eine Zigarette an. »Nein,

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