DU HÖRST VON MIR
flüsterte er, mit schwerer Zunge die Silben lang ziehend und ließ seinen Kopf schwer auf meine Schulter fallen. »Du bist mein Freund, du bist hier mit mir. Das kotzt sie total an, Mann... Du bist doch mein Freund, oder?«
»Klar bin ich das. Komm José, hör auf zu trinken, wir verderben uns sonst das Fest.«
»Aber mir geht's doch gut«, sagte er lallend. »Na gut, ein bisschen schwindelig, hehe. Hör mal, das Feuer hier geht aus.
Soll ich noch mehr Holz holen? Du sagst mir wo, und ich hole es. Wirklich, ich gehe. Bleib sitzen.«
Ich legte noch ein paar Holzstücke ins Feuer. Das Feuer wuchs in einer Wolke rot glühender Funken. Ich sah, wie José sich Stiefel, Socken und Hemd auszog und sich neben dem Stein im Gras ausstreckte. Die Kerzen waren am Verlöschen.
»Du wirst dich erkälten.«
»Ach was. Komm her«
Ich setzte mich an dieselbe Stelle, wo ich zuvor gesessen hatte. José, barfüßig, nur noch mit der Jeans bekleidet, umarmte mich, fasste mich um die Taille und legte seinen Kopf an meine Schulter.
»Was machst du denn?«
»So wird mir nicht kalt.«
»Du hast zu viel getrunken.«
»Na und?«
Ich zündete eine Zigarette an und rauchte schweigend mit dem Blick ins Feuer. Nein, sagte ich mir, du wirst jetzt nicht noch einmal alles kaputt machen. Diesmal nicht. Ich betete zum Himmel, dass José in meinen Armen einschlafen möge.
»Soll ich dir ein Geheimnis verraten?«
»Na gut, meinetwegen«, seufzte ich.
»Aber das bleibt unter uns! Das darfst du nicht weitersagen.«
»Nein, José, natürlich nicht. Jetzt sag schon.«
»Aber niemandem sagen, Bursche? Ehrlich!«
»Ja, José, ich verspreche es dir. Um was geht es?«
»Nichts Besonderes... aber ich kenne jemanden, der in dich verliebt ist.«
»Ja, Ana. Das ist nichts Neues.«
»Nein«, flüsterte er und rieb seinen Kopf an meiner Schulter, »nicht Ana. Ein Junge.«
»Was?«, ich lachte.
»Ein Freund aus dem Schwimmbad. Er heißt Miguel.
Kennst du ihn nicht?«
»Nein.«
»Na, der ist jedenfalls verrückt nach dir. Das hat er mir hundert Mal erzählt. Aber ich hab ihm schon gesagt, dass du mit meiner Schwester zusammen bist und dass man da nichts machen kann. Du hast ihn bestimmt schon gesehen. Er ist dir nur nicht aufgefallen.«
»Ich habe keine Ahnung.«
Unsicher tastete José nach der Hand, mit der ich die Zigarette hielt, ergriff sie und führte sie an seine Lippen. Ich spürte, wie er meine Finger dabei streichelte. Er zog an der Zigarette und kuschelte sich wieder, wie ein Kind, an meine Brust.
»Da kannst du sehen, dass es mir nichts ausmacht, Freunde zu haben, die auf Typen stehen, ne? Siehst du?«
Nein, ermahnte ich mich, mach es nicht, du wirst es nicht tun. Er ist betrunken. Er hat sich absichtlich Mut angetrunken, um dich so zu umarmen, wie er es jetzt tut, weil er weiß, dass du dich danach sehnst, weil du ihn gezwungen hast, zu glauben, dass er das, was er jetzt tut, auch wirklich tun möchte. Du weißt, er glaubt an dich, er vertraut dir, er ist von dir abhängig; du bist das Stabilste, was er momentan in seinem Leben hat, und du hast ihn erpresst, du hast ihn gedrängt.
Aber du wirst ihn nicht anfassen. Unter keinen Umständen wirst du ihn anfassen, egal ob er es will oder nicht. Lass ihn einschlafen, dann trägst du ihn ins Zelt, legst ihn in den Schlafsack und wirst diese Nacht vergessen, so wie er sie morgen vergessen haben wird, wenn er mit seinem Kater beschäftigt ist. Er wird sich an nichts erinnern. Du wirst alles vergessen haben. Und dann geht das Leben einfach weiter: Du wirst leiden wie ein Tier und er wird endlich glücklich sein. Also fass ihn nicht an.
Von meinen Lippen löste sich ein leichter, schwereloser Kuss und landete sanft auf seinem Kopf. Rühr ihn nicht an!
Lass ihn in Ruhe! Meine Hand berührte zart die weiche Haut seiner Flanke, seine Schultern, seinen Arm, seine Brust; mit einer Zärtlichkeit, die ich mir abverlangte, unschuldig, mehr als freundschaftlich, fast mütterlich (Fass ihn nicht an! Lass ihn endlich in Ruhe!); sie glitt über seinen ganzen Körper.
Die angenehme Wärme des Feuers strahlte von seiner Haut ab, der Schweiß brach mir auf der Stirn aus, meine Finger entzogen sich unaufhaltsam meinem Willen und wanderten Zentimeter für Zentimeter erst über seinen Arm, dann über seine nackte, seidige Flanke, dann wieder zu der anmutigen Landschaft seiner Brust. José, mein Geliebter, mein Junge, verzeih mir. Mein müder, unschlüssiger, zögerlicher Kopf, mein letzter Rest
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