Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)
»hinter den Kulissen« liegt, wenn der Vater abwesend ist, und sich »auf der Bühne« abspielt, wenn er da ist: Viele Kinder werden angewiesen, sich ordentlich zu benehmen, wenn Papa zu Hause ist. Das könnte daran liegen, dass er nicht oft zu Hause ist, oder daran, dass die Mutter – oder der Vater – nicht will, dass sie oder er gestört wird, wenn es der Fall ist.
Der Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Sprechen erklärt auch das Klischee, dass Frauen keine Witze erzählen können. Obwohl einige Frauen großartige Erzähler sind, die ganze Menschengruppen mit ihren Witzen und amüsanten Geschichten in ihren Bann ziehen können, gibt es solche Persönlichkeiten unter Frauen seltener als unter Männern. Viele Frauen, die in großen Menschenansammlungen Witze erzählen können, kommen aus ethnischen Gruppen, in denen man großen Wert auf sprachliche Darbietungen legt. So sind zum Beispiel viele der berühmten Vortragskomikerinnen, wie Fanny Brice und Joan Rivers, jüdischer Herkunft.
Zwar ist es nicht wahr, dass Frauen keine Witze erzählen, aber es ist wahr, dass viele Frauen eher als Männer davor zurückschrecken, Witze in großen Gruppen zu erzählen, vor allem in Gruppen, die auch aus Männern bestehen. Deshalb ist es kein Wunder, wenn Männer den Eindruck haben, Frauen würden überhaupt keine Witze machen. Die Volkskundlerin Carol Mitchell untersuchte das Witzeerzählen auf einem Campus. Sie fand heraus, dass Männer ihre Witze meistens vor anderen Männern machten, aber sie gaben auch in gemischten Gruppen und in Gesellschaft von Frauen Witze zum Besten. Frauen dagegen erzählten die meisten Witze anderen Frauen, sie machten nur wenige in Gegenwart von Männern und kaum welche in gemischten Gruppen. Männer scherzten am ehesten und am liebsten, wenn sie Publikum hatten: mindestens zwei, oft vier oder mehr Zuhörer. Frauen bevorzugten eine kleine Zuhörerschaft von ein oder zwei, selten mehr als drei Leuten. Anders als die Männer schreckten sie davor zurück, Witze vor Leuten zu reißen, die sie nicht besonders gut kannten. Viele Frauen weigerten sich rundheraus, einen ihnen bekannten Witz zu bringen, wenn die Gruppe aus vier oder mehr Leuten bestand, und versprachen, den Witz später unter vier Augen zu erzählen. Männer lehnten die Aufforderung, einen Witz zum Besten zu geben, nie ab.
Mitchells Ergebnisse fügen sich in das von mir skizzerte Bild privaten und öffentlichen Sprechens. In einer Situation mit mehreren Zuhörern, mehreren Männern oder mehreren Fremden, erfordert das Witzeerzählen, wie auch jede andere Form sprachlicher Darbietung, vom Sprecher, dass er sich in den Mittelpunkt stellt und seine Fähigkeiten unter Beweis stellt. Das sind Situationen, in denen Frauen davor zurückschrecken, das Wort zu ergreifen. In privateren Situationen mit einem kleinen, vertrauten Zuhörerkreis, dessen Mitglieder als Angehörige einer Gemeinschaft empfunden werden (wie zum Beispiel andere Frauen), sind sie eher zum Reden bereit.
Die Auffassung, dass das Erzählen von Witzen eine Art Selbstdarstellung ist, bedeutet nicht, dass es egoistisch oder egozentrisch sein muss. Die Situation des Witzeerzählens illustriert, dass Status und Bindung miteinander verknüpft sind. Andere zu unterhalten ist ein Weg, Bindungen herzustellen, und das Erzählen von Witzen kann wie ein Geschenk sein, wenn man den Zuhörern damit Vergnügen bereitet. Das Wesentliche ist die Asymmetrie: Einer ist der Erzähler, die anderen sind die Zuhörer. Wenn diese Rollen später vertauscht werden – wenn zum Beispiel der Reihe nach Witze erzählt werden und jeder einmal die Rolle des Erzählenden übernimmt –, ist das Geschehen insgesamt symmetrisch, auch wenn die einzelne Darbietung asymmetrisch ist. Wenn Frauen allerdings gewohnheitsmäßig die Rolle des dankbaren Publikums spielen und die Rolle des Witzeerzählers nie selbst übernehmen, weitet sich die Asymmetrie, die beim einzelnen Witz besteht, auf die gesamte Interaktion aus. Das ist das Risiko, das die Frauen eingehen. Bei Männern besteht die Gefahr, dass sie pausenlos Witze erzählen und sich dadurch von anderen distanzieren. Diesen Effekt bekam ein Mann zu spüren, der sich beklagte, weil sein Vater immer nur Witze riss, wenn er mit ihm telefonierte. Und in diesen Zusammenhang gehört auch das verwandte Phänomen des Klassenclowns, bei dem es sich Lehrern zufolge fast immer um einen Jungen handelt.
Beziehungssprache im öffentlichen Bereich
So, wie
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