Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)
Frühstücksszene verziert ist: Ein unrasierter Ehemann liest die Zeitung, während seine Frau ihm mürrisch gegenübersitzt. Der Cartoon spiegelt die gewaltige Kluft zwischen den romantischen Erwartungen an die Ehe, wie sie von dem Plastikpärchen in traditioneller Hochzeitsgarderobe symbolisiert werden, und der oft enttäuschenden Realität, wie sie von den zwei Seiten der Frühstückszeitung repräsentiert wird – die Vorderseite, die er liest, und die Rückseite, die sie anstarrt.
Diese Cartoons und viele andere, die dasselbe Thema behandeln, sind lustig, weil die Leute ihre eigenen Erfahrungen darin wiedererkennen. Weniger lustig ist dagegen, dass viele Frauen sich tief verletzt fühlen, wenn ihre Männer zu Hause nicht mit ihnen reden, und dass viele Männer frustriert sind, weil sie ihre Partner offenbar enttäuscht haben, ohne zu wissen, was sie falsch gemacht haben oder wie sie sich hätten anders verhalten sollen.
Manche Männer sind auch frustriert, weil sie sich fragen – wie einer es formulierte: »Wann, um alles in der Welt, soll ich meine Morgenzeitung lesen?« Wenn viele Frauen ungläubig darauf reagieren, dass Männer mit ihren Freunden nicht über persönliche Dinge reden, so kann dieser Mann es nicht verstehen, warum viele Frauen kein Interesse an einer Morgenzeitung haben. Für ihn bildet das Zeitunglesen einen wesentlichen Bestandteil seines morgendlichen Rituals, und der ganze Tag ist ihm verdorben, wenn er nicht dazu kommt. Er sagt, dass das Zeitunglesen für ihn ebenso wichtig sei wie das Auftragen von Make-up für viele Frauen, die er kenne. Aber viele Frauen, so habe er festgestellt, hätten entweder gar keine Zeitung abonniert oder würden sie erst lesen, wenn sie abends nach Hause kämen. »Es ist mir ein Rätsel«, meinte er. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft ich die Morgenzeitung einer Frau abends vor der Haustür aufgesammelt und ihr übergeben habe, wenn sie mir öffnete.«
Für diesen Mann (und sicher für viele andere) versucht eine Frau, die etwas gegen das morgendliche Zeitunglesen einzuwenden hat, ihn an einer für ihn wesentlichen und harmlosen Beschäftigung zu hindern. Sie verletzt seine Unabhängigkeit – seine Handlungsfreiheit. Aber eine Frau, die von ihrem Partner erwartet, dass er mit ihr redet, und enttäuscht ist, wenn er es nicht tut, sieht in seinem Verhalten einen Beweis fehlender Intimität: Er enthält ihr etwas vor; er hat das Interesse an ihr verloren; er zieht sich vor ihr zurück. Eine Frau, die ich Rebecca nennen will und die im Großen und Ganzen glücklich verheiratet ist, erzählte mir, dass dies die eine Sache sei, die sie an ihrem Mann, Stuart, wirklich ernsthaft störe. Sie bezeichnet seine Schweigsamkeit als geistigen Geiz. Sie erzählt ihm, was sie denkt, und er hört schweigend zu. Sie fragt ihn, was er denkt, und er lässt sich lange Zeit, um dann zu antworten: »Ich weiß nicht.« Frustriert greift sie ihn an: »Denkst du eigentlich nie irgendetwas?«
Für Rebecca, die daran gewöhnt ist, auszusprechen, was ihr gerade in den Sinn kommt, bedeutet, nichts zu sagen, nichts zu denken. Aber Stuart ist der Ansicht, dass seine flüchtigen Gedanken nicht unbedingt erwähnt werden müssen. Er hat nicht die Angewohnheit, alles zu erzählen, was ihm gerade einfällt; so, wie Rebecca es ganz »natürlich« findet, ihre Gedanken auszusprechen, so findet er es ganz »natürlich«, sie zu übergehen. Darüber zu reden würde ihnen mehr Gewicht und Bedeutung verleihen, als sie seiner Meinung nach verdienen. Rebecca hat sich ihr Leben lang darin geübt, ihre Gedanken und Gefühle in privaten Gesprächen mit Leuten, die ihr nahestehen, zu artikulieren. Stuart hat sich sein Leben lang darin geübt, seine Gedanken und Gefühle zu ignorieren und für sich zu behalten.
In Zweifelsfällen
In dem geschilderten Beispiel wollte Rebecca nicht über eine bestimmte Art von Gedanken oder Gefühlen reden, sondern einfach erfahren, was gerade in Stuart vorging. Aber die Frage, ob Gedanken oder Gefühle ausgesprochen werden sollten, ist besonders bedeutsam, wenn es um negative Gefühle oder Zweifel in einer Partnerschaft geht. Das wurde mir bewusst, als ein fünfzigjähriger geschiedener Mann mir erzählte, welche Erfahrungen er bei der Anknüpfung neuer Beziehungen gemacht hatte. Zu dieser Frage hatte er eine ganz klare Meinung: »Ich interessiere mich nicht für meine flüchtigen Gedanken, und ich interessiere mich nicht für die flüchtigen Gedanken anderer.«
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