Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)
ein weitverzweigtes, starkes Netzwerk von Freundinnen aufgebaut, mit denen er regelmäßig redete. Als er eine feste Beziehung einging, beklagten seine Freundinnen sich, dass er ihnen nichts mehr erzählte. »Es ist nicht so, dass ich irgendetwas vor ihnen geheimhielte«, sagte er zu mir. »Es ist einfach so, dass Naomi und ich gut miteinander auskommen und es nichts zu erzählen gibt.« Mit dieser Bemerkung sprach er dennoch ein Beziehungsproblem an – das allerdings nicht seine Partnerin, sondern seine Freundinnen betraf.
Die Klageform der Beziehungssprache
Die Volkskundlerin Anna Caraveli hat Frauenklagen in den Dörfern Griechenlands untersucht. Klagen sind spontane, ritualisierte Sprechgesänge, die von griechischen Frauen angestimmt werden, um ihrem Kummer Ausdruck zu geben, wenn sie geliebte Menschen durch Tod oder Auswanderung verloren haben. Laut Caraveli werden diese Klagen immer von mehreren Frauen rezitiert. Noch bemerkenswerter ist, dass die Frauen das Gefühl haben, für eine erfolgreiche Klage sei die Teilnahme anderer Frauen notwendig. Eine Frau, die eine Klage vortrug, damit Caraveli sie auf Band aufnehmen konnte, meinte, dass sie es mit der Unterstützung mehrerer Frauen besser gekonnt hätte.
Wenn griechische Frauen gemeinsam klagen, dann mahnt der individuelle Ausdruck von Leid die anderen an ihren eigenen Kummer, und so intensivieren die Frauen ihre Gefühle gegenseitig. In der Tat haben sowohl Caraveli als auch der Anthropologe Joel Kuipers, der eine ähnliche Klagetradition auf Bali untersuchte, festgestellt, dass Frauen ihr gegenseitiges Talent, was diese Volkskunst angeht, danach beurteilen, inwiefern es der einzelnen Person gelingt, die anderen anzurühren und sie in ein aktives Leidenserleben zu verwickeln. Der Ausdruck des Leids, das sie über den Verlust geliebter Menschen empfinden, bindet diese Frauen aneinander, und ihre Verbundenheit legt sich wie Balsam auf die Wunde des Verlusts. Dem Anthropologen Joel Sherzer zufolge ist das »melodische Weinen« über den Tod geliebter Menschen bei den unterschiedlichsten Völkern unserer Welt eine reine Frauendomäne.
Traditionelle Klagerituale gleichen dem weniger formalen, aber genauso verbreiteten Ritual, nach dem moderne amerikanische und europäische Frauen zusammenkommen, um Probleme zu besprechen. Auch sie teilen ihr Leid. Das könnte erklären, warum Probleme ein so gutes Gesprächsthema abgeben. Über Probleme zu sprechen hat etwas Verbindendes; es ist eine unter Frauen weitverbreitete Praxis und auch zwischen Männern und Frauen nichts Ungewöhnliches. Unter Männern scheint es dagegen weit weniger üblich zu sein.
Einige der von mir befragten Männer meinten, dass sie mit niemandem über ihre Probleme diskutierten. Von denjenigen, die darüber sprachen, erzählten die meisten mir, dass sie ihren Kummer am liebsten Frauen anvertrauten. Einige Männer sagten, dass sie einen guten Freund hätten, mit dem sie ihre Sorgen besprechen würden. Aber es gab Unterschiede, die andeuteten, dass sie irgendwie weiter vom Pol der Intimität entfernt waren als die meisten Frauen. Zum einen hatten sie höchstens ein oder zwei gute Freunde, mit denen sie ihre Probleme diskutierten, und nicht mehrere, wie die meisten der befragten Frauen. Zum anderen erzählten sie häufig, dass sie mit diesem Freund schon seit längerer Zeit – seit einigen Tagen, Wochen, Monaten oder noch länger – nicht mehr gesprochen hätten, dass er aber für sie da wäre, wenn sie ihn bräuchten.
Die meisten Frauen standen in ständigem Kontakt mit ihren engsten Freundinnen und diskutierten häufig auch kleinere Entscheidungen und Entwicklungen mit ihnen. Ein Mann erzählte mir, er habe einen Freund, mit dem er seine Sorgen bespreche, aber er würde ihn nur anrufen, wenn er ein wirklich ernsthaftes Problem hätte; deshalb verstreiche häufig viel Zeit, ohne dass sie miteinander redeten.
Eine Frau, die ich Shirley nennen will, erzählte mir, wie überrascht sie gewesen war, als sie einen Anruf von dem Mann erhielt, der ihr das Herz gebrochen hatte; er meinte, er würde gern vorbeikommen, um mit ihr zu sprechen. Wie sich herausstellte, wollte er darüber reden, dass eine andere Frau ihm gerade das Herz gebrochen hatte. Shirley fragte, warum er damit zu ihr gekommen sei. Er entgegnete, sie sei die Einzige, mit der er über seine Gefühle reden könne. Was sei mit seinen Freunden? Er würde sich einfach nicht wohl fühlen, wenn er solche Dinge mit seinen Freunden
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