Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)
hinten gesetzt und eine Menge leerer Bankreihen vor dem Sprecher frei gelassen. Als seine anfängliche Bitte, weiter aufzurücken, wirkungslos blieb, ging der Redner zu scherzhaften Drohungen über: »Wenn Sie nicht sofort nach vorne aufrücken, werde ich Sie nachher verfolgen und meuchlings ermorden.«
Ein Hypnotiseur versuchte einer Frau zu helfen, sich wieder an ihr Japanisch zu erinnern, das sie einmal sehr gut beherrscht, aber vergessen hatte, seit sie fließend Chinesisch konnte. Nachdem er sie in einen leichten Trancezustand versetzt hatte, suggerierte er ihr: »Stellen Sie sich vor, dass jemand sie auf Japanisch herumkommandiert. Brüllen Sie laut auf Japanisch: ›Verschwinden Sie von hier!‹« Bei dem Versuch, eine emotionsgeladene Situation heraufzubeschwören, dachte er automatisch an eine, die für Männer von zentraler Bedeutung ist. Aber ich fragte mich – und hatte meine Zweifel –, ob die Frau sie auch besonders eindrucksvoll finden würde. Als der Hypnotiseur seine Vorgehensweise später erläuterte, sagte er: »Wir wollen doch mal sehen, ob wir den Japaner nicht zum Armdrücken kriegen können, damit er den Chinesen besiegt.«
Wolfsworte im Schafspelz
Während Jungen und Männer oft in Opposition gehen, um Kontakt zu knüpfen, benutzen Frauen scheinbare Zusammenarbeit und Verbundenheit für Konkurrenzkampf und Kritik. Goodwin kam zum Beispiel zu dem Ergebnis, dass die Mädchen einen bestimmten Springseil-Reim besonders gern mochten, weil er die Möglichkeit bot, mitzuzählen, wie viele Sprünge jemand machte. Auch Klatsch kann eine Form von Wettbewerb sein, wenn man darum wetteifert, wer die Neuigkeit als Erster weiß.
Die Entwicklungspsychologin Linda Hughes zeigt den subtilen Balanceakt zwischen Kooperation und Wettbewerb bei Mädchen der vierten und fünften Klasse, die ein Spiel namens »Viereck« spielen. Dabei stehen vier Mädchen in vier auf die Erde gezeichneten Vierecken, während sie einen Ball hin und her werfen. Wenn ein Mädchen den Ball verfehlt, beim Fangen auf die Linie tritt oder ihn zweimal aufprallen lässt, scheidet es aus: Es verlässt das Spiel, und ein anderes Kind kommt herein. Obwohl bei diesem Spiel im Grunde jeder für sich allein spielt, taten die Mädchen so, als ob sie Teams angehörten: Sie versuchten, ihre Freundinnen herein- und andere Mädchen hinauszubekommen.
Hughes erklärt, dass das Spiel einem komplexen Verhaltenskodex folgte, nach dessen Regeln die Mädchen – wie sie es selbst ausdrückten – »nett« und nicht »gemein« sein sollten. Leute rauszuschmeißen war gemein, aber es war nicht wirklich gemein, wenn es dem Ziel diente, nett zu jemand anderem zu sein – und zum Beispiel die Freundin reinzuholen. Die Mädchen mussten miteinander konkurrieren, die ganze Zeit nett zu sein und nie jemanden ausscheiden zu lassen wäre gemein gegenüber all den Kindern, die in der Schlange warteten und die dann nie mitspielen könnten. Aber sie mussten der Konkurrenz einen kooperativen Anstrich geben. So rief zum Beispiel ein Mädchen, das im Begriff stand, einen harten Ball zu schmettern, ihrer Freundin zu: »Sally, ich hol dich rein!« Damit kündigte sie für alle gut verständlich an, dass es ihr nicht darum ging, gemein zu dem Mädchen zu sein, das Gefahr lief auszuscheiden; sie war nur nett zu ihrer Freundin. Die Mädchen bezeichneten dieses vorgeschriebene Verhalten als »nett gemein«. Sie erzählten Hughes, dass sie nicht gern mit Jungen spielten, weil die Jungen einfach nur versuchen würden, alle abzubaggern.
Die Anthropologin Penelope Brown illustriert anhand dramatischer Beispiele, wie Tenejapa-Frauen ihre Missbilligung mit scheinbarer Zustimmung demonstrieren. Die Frauen dieser mexikanischen Mayagemeinschaft drücken ihren Zorn oder einen Streit nicht offen aus. Wenn sie wütend sind, zeigen sie es, indem sie sich weigern zu sprechen, zu lächeln oder andere zu berühren. Wie setzen sie dann aber Konflikte in Szene, wenn die Situation es verlangt – zum Beispiel vor Gericht? Brown filmte eine Gerichtsverhandlung, die aus Anlass eines ungewöhnlichen und skandalösen Vorfalls stattfand: Eine junge Braut hatte ihren frischangetrauten Ehemann verlassen, um einen anderen Mann zu heiraten. Die Familie des Bräutigams verklagte die Familie der Braut auf Herausgabe der Geschenke, die sie der Braut nach alter Sitte gemacht hatte.
Die beiden Familien wurden vor Gericht von den Müttern der Braut und des Bräutigams vertreten. Als die beiden Frauen
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