„Du kommst hier nicht rein!“: Der Mann an der härtesten Tür Deutschlands packt aus (German Edition)
die Woche ins Büro und verdonnerte mich dazu, die Yellow Press zu studieren. Zu jenen, über die in diesen Blättern berichtet wurde, gehörten nicht nur die stadtbekannten Feier-Lieschen und Party-Onkel, sondern auch die Stars und Sternchen aus der Musik- und Filmbranche. Manchmal hatten wir gar nicht mitbekommen, wer sich während ein und derselben Nacht alles im P1 aufhielt. Als Balu mich an einem verregneten Dienstagabend im November an seine Bar holte, weil die blonde Almuth aus Hamburg vor lauter Aufregung fast vom Hocker gefallen wäre, erkannte ich erst, nachdem ich meine Blicke zum zweiten Mal die Runde machen ließ, dass Oskar Lafontaine, Jon Bon Jovi, Leonardo DiCaprio und Tatjana Patitz anwesend waren.
Die beiden Schwabinger Burschen Rob und Fab kamen jeden Abend ins P1 , wegen der Girls und neuer Tanzschritte. Auf den weiß gewienerten Bassboxen, die am Rand der Tanzfläche standen, übten sie jede Nacht Breakdance-Posen und den großen Auftritt vor Publikum.
Immer wieder planten Robert Pilatus und Fabrice Morvan den Sprung von den P-1-Boxen auf die internationale Bühne – so lange, bis sie als Milli Vanilli tatsächlich weltbekannt wurden und 1990 ihren als »Best New Artists« gewonnen Grammy wieder zurückgeben mussten, weil herausgekommen war, dass nicht sie selbst gesungen hatten, sondern der Schlagerguru Frank Farian – »Girl, you know it’s true!« Nur »I just call to say I love you« ist noch schlimmer und an erster Stelle der drei Bad Ass Songs des P1 steht »Lady in red« des irischen Weichspülers Chris de Burgh. Dabei musste ich an Elke Nagast und ihren roten Langarm-Nicki denken, mit der ich im Ebersberger Showboat meine erste Zigarette geraucht hatte, eine Menthol-Zigarette, da wir dachten, das sei gesund, weil Elke erkältet war. Wir tranken Sex on the Beach und Black Russian. Gesund wurde Elke dadurch nicht.
Das Geheimnis des P1 war, dass man Sex hatte. Keinen praktizierten (aber den gab es im P1 auch), sondern eher so etwas wie ätherischen Sex – dem niemand entkam. Das lag daran, dass der Club dermaßen klein war, dass sich alle dicht aneinanderdrängen mussten, sobald mehr als hundertfünfzig Menschen im Raum waren. Jeder rieb sich an jedem, Klimaanlage gab es keine, der Schweiß war das verbindende Lebenselixier, es war schmutzig – so kamen sich alle sehr, sehr nahe und viele hatten ihre besten Höhepunkte nicht in den heimischen Betten, sondern auf dem Dancefloor vom P1. Der harte Kern kam nie vor halb zwei, dann lief der Wodka aus vollen Rohren. Die schwitzenden Körper rieben sich, bedrängten sich. Es war grandios. Alle mussten dabei sein, wenn die Tanzflächenorgie wieder von Neuem losging. Alle gingen immer wieder hin, weil sie wussten, dass etwas passieren würde. Irgendwas. Es war eine Sucht, der du nicht entrinnen konntest. Der innere Drang, dabei zu sein, oder die Befürchtung, etwas zu verpassen, war einfach zu groß, sodass einem kein Rehab-Center mehr hätte helfen können. Zehnmal ist man hingegangen, neunmal war es ein cooler Abend und einmal war es die beste Nacht des Lebens. Aber nur wer in den Club reinkam, wer dabei war, konnte mitreden. Und zu tuscheln gab es wahrlich genug: Es ging um wilde Partys, Skandale, Sex und Drogen.
Es gab echte High-Roller, die hatten ihr ganz eigenes Rezept für den ultimativen P-1-Kick. Rebecca war immer vorne dabei, sie schmiss sich zwei Codein-Tabletten ein, genehmigte sich drei Tequila Turbo bei Jonas an der Bar, dann abtanzen, ausrasten, zwei Stunden pennen in der Charleston-Ente auf dem Parkplatz und mit verschmierter Wimperntusche und zerknautschter Backe wieder rein. Beim Heimfahren fuhr sie mit 20 Sachen zehnmal um den Kreisverkehr am Gärtnerplatz, bis sie sich traute, in die richtige Straße abzubiegen.
Es kam fast immer zum Äußersten. Zum heiligen Gral der musikalischen Ergüsse. Dargeboten vom Prediger auf seiner Kanzel. Jeden Abend erschien uns der Messias und er kriegte sie alle mit seinem heiligen Bum-Bum. Dieser Rhythmus befreite den Körper aus dem Gefängnis des schrecklich schnöden Alltags. Der DJ war der Dealer, der uns den besten Stoff besorgte – auch wenn ich mir den dicken Speedy nicht wirklich als Drogenbaron vorstellen konnte. Music is our drug. Der Beat machte die Girls willig und die Boys mussten nur noch zugreifen. Sodom und Gomorrha war nix dagegen.
In den frühen Achtzigern kamen mit Punk und Disco zwei Popkulturen gleichzeitig auf. Bei genauerem Hinsehen hatten sie sogar etwas
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