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Du lebst nur zweimal

Titel: Du lebst nur zweimal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Fleming
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den Büschen und Bäumen. Obwohl seine Hände durch den schwarzen Stoff des Ninja -Anzugs geschützt waren, vermied er jede Berührung mit den Pflanzen, die ununterbrochen wechselnde Gerüche und Düfte ausströmten, unter denen er von seinen weit zurückliegenden Abenteuern im Karibischen Meer her nur den süßlichen Geruch der Kornelkirsche erkannte. Er kam zu dem See, einer breiten, silbrig schimmernden Fläche, von dem die dünne Dampfwolke aufstieg, die er auf der Luftaufnahme gesehen hatte. Während er ihn betrachtete, segelte ein großes Blatt von einem Baum herunter und landete auf der Wasseroberfläche vor Bond. Plötzlich brodelte das Wasser rings um das Blatt und war im nächsten Augenblick wieder glatt. Das mußten die Piranhas sein, die gierig über eine mögliche Beute herfielen. Auf der anderen Seite des Sees traf Bond auf die erste Fumarole - ein schwefelfarbiger kochender Schlammtümpel, der ständig in Bewegung war und kleine Fontänen ausspie. Bond konnte ihre
    Hitze auf einige Meter Entfernung spüren. Stinkende Dampfstrahlen stiegen zischend hoch. Und jetzt tauchte über den Bäumen der gezackte Umriß des Schlosses mit seinen geschwungenen Türmchen auf. Bond kroch mit doppelter Vorsicht darauf zu; er war darauf vorbereitet, jeden Augenblick auf den verräterischen Kiesstreifen zu stoßen, der es umgab. Plötzlich lag er vor ihm. Er blieb im Schutz der Bäume stehen; sein Herz hämmerte wild.
    Das schwarz-goldene Gebäude stieg riesenhaft vor ihm in die Höhe, und die nach oben kleiner werdenden geschwungenen Dächer der einzelnen Stockwerke erinnerten an gewaltige Fledermausflügel. Es war größer, als Bond es sich vorgestellt hatte, auch die Stützmauer aus schwarzen Granitsteinen sah abweisender aus. Er dachte über das anscheinend unlösbare Problem nach, in das Schloß einzudringen. Auf der anderen Seite lagen der Haupteingang, die niedrige Mauer und die offene Landschaft. Aber hatten Schlösser nicht immer einen tiefgelegenen Notausgang an der Rückseite? Bond schlich vorsichtig weiter und trat dabei so behutsam auf, daß der Kies sich kaum bewegte. Die vielen im Mondlicht weiß glitzernden Augen des Schlosses beobachteten ihn mit der Gleichgültigkeit unerschütterlichen Machtbewußtseins. Er rechnete jeden Augenblick mit dem grellen Strahl eines Scheinwerfers oder dem gelblichblauen Mündungsfeuer der Gewehre. Er erreichte jedoch den Fuß der Mauer ohne Zwischenfall und glitt an ihr entlang nach links, wobei er sich daran erinnerte, daß die meisten Burgen oder Schlösser auf der Höhe des Grabens unter der Zugbrücke einen Ausgang hatten.
    Doktor Martells Schloß machte keine Ausnahme: eine kleine, eisenbeschlagene, rundbogige, verwitterte Tür. Die Angeln und das Schloß hingen lose im Holz und waren verrostet, aber man hatte ein neues Vorhängeschloß und eine Kette mit Krampen im Holz und im steinernen Rahmen befestigt. Kein Mondlicht drang in diesen Winkel, der einmal Teil eines Wassergrabens gewesen sein mußte, jetzt aber von Gras überwuchert war. Bond tastete sorgfältig mit den Fingern um sich. Ja! Die Kette und das Schloß ließen sich mit der Feile und dem Brecheisen aus seinem Wunderbeutel öffnen. War die Tür von Innen verriegelt? Wahrscheinlich nicht, sonst hätte man das Vorhängeschloß nicht für nötig erachtet. Bond schlich auf dem gleichen Weg zurück, auf dem er gekommen war. Die Tür würde morgen sein Ziel sein!
    Bond setzte seinen Erkundungsgang fort, wobei er weiter der Umfassungsmauer folgte. Einmal schlängelte sich direkt vor seinen Füßen etwas davon und verschwand raschelnd in den heruntergefallenen Blättern unter einem Baum. Welche Schlangen griffen Menschen wirklich an? Die Königskobra, die schwarze Mamba, die Viper, die Klapperschlange. Welche noch? Die übrigen flüchteten meist, wenn man sie aufstörte. Waren Schlangen am Tag oder in der Nacht auf Beute aus? Bond wußte es nicht. Er befand sich nun auf der dem Schloß näher gelegenen Seite des Sees. Er hörte ein Geräusch und schlüpfte hinter einen Baum. Das entfernte Knacken in den Büschen schien von einem verwundeten Tier herzurühren, aber dann taumelte ein Mensch - oder was einmal ein Mensch gewesen war - den Pfad entlang. Das helle Mondlicht ließ einen Kopf erkennen, der zur Größe eines Fußballs ; angeschwollen war, Augen und Mund waren nur noch winzige Schlitze. Der Mann stöhnte leise, während er dahintorkelte, und Bond konnte sehen, daß er die Hände zu seinem aufgedunsenen

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