Du lebst, solange ich es will
aussehen.
»Ich kann an nichts anderes mehr denken«, sagt Drew leise. Ich sage nichts, nicke nur.
Pete lehnt sich zu uns. »Ich verrate euch etwas, aber ihr dürft es niemandem weitererzählen.«
»Okay«, sagen wir gleichzeitig. Drew wirft mir einen Blick zu und ich weiß, dass es ihm genauso geht wie mir. Dass er es vielleicht gar nicht wissen will.
»Sie haben unten am Fluss eine Stelle gefunden, nicht weit von Kaylas Auto. Eine Stelle, an der das Ufer total zerwühlt war, als hätte ein Kampf stattgefunden. Außerdem haben sie einen Stein mit Blutspuren sichergestellt, ungefähr faustgroß. Er ist gerade im Labor. Sie besorgen sich DNA von Kaylas Zahnbürste oder so, um zu sehen, ob sie übereinstimmt. Aber wenn es überhaupt Blut ist, ist es höchstwahrscheinlich ihr Blut.«
»Ein Stein?«, wiederholt Drew. »Am Ufer?«
Pete nickt.
Ich weiß nicht, woran die anderen jetzt denken, aber ich denke an den Fluss, wie tief, breit und wie schnell seine Strömung ist. An manchen Stellen sind es über dreißig Meter bis zum Grund. Diesen Frühling hatten wir eine starke Schneeschmelze.
Pete fügt schnell hinzu: »Aber erzählt es niemandem. Es kann auch ein Zufall sein.«
»Wissen ihre Eltern davon?«, fragt Drew.
»Natürlich«, sagt Pete und macht den Eindruck, als würde er bereits bereuen, dass er uns davon erzählt hat. »Aber sonst niemand. Ich hätte euch wirklich nichts sagen sollen.« Er tut, als müsste er dringend ein paar Unterlagen ordnen. Es ist klar, dass wir abtreten sollen. »Ich rede mit Miguel und sage ihm, dass sich der Dienstplan noch mal geändert hat.«
Vor Petes Büro drehe ich mich zu Drew um. »Wollen wir zu Starbucks gehen?«
Vor ein paar Wochen tauchte Drews Mom in der Pizzeria auf. Drew war hinten und rieb Mozzarella. Ich wusste nicht, dass es seine Mutter war. Drew und ich sind auf verschiedene Grundschulen gegangen und das ist ungefähr das letzte Mal, dass man die Eltern der anderen sieht.
Ich hätte sie zunächst überhaupt nicht für eine Mutter gehalten. Ihre straßenköterblonden, verhedderten Locken hingen ihr ins schmale Gesicht und der blaue Lidschatten war über einem Auge verschmiert. Sie trug Jeans, eine schwarze Daunenjacke und abgewetzte High Heels.
»Hi, arbeitet Drew heute?« Sie klang und roch wie eine Raucherin.
»Er ist hinten«, sagte ich. »Soll ich ihn holen?«
Jeder in der Schule wusste, dass Drew Lyle Gras verkaufte. Aber alles noch in einem gewissen Rahmen, nur ein paar Joints. Er war kein richtiger Dealer. Er verkaufte nur Marihuana. Aber jetzt sah es danach aus, als würde er es auch an Erwachsene und nicht mehr nur an Schüler verkaufen, was schon etwas anderes war. Außerdem hatte er bisher, soweit ich das mitbekommen hatte, noch nie bei der Arbeit etwas verkauft. Das Ganze gefiel mir gar nicht.
Statt mir eine Antwort zu geben, rief sie auf einmal: »Drew! Komm her! Drew!«
Ich zuckte zusammen. Es war nur noch ein anderer Kunde in der Pizzeria, ein Mann um die dreißig, der am Tresen ein Stück Pizza aß und in einer alten Zeitschrift las. Er hatte versucht mich anzubaggern. Ich schätze, er hatte gerade eine Scheidung hinter sich. Wahrscheinlich nicht ohne Grund. Ich hatte so wenig wie möglich mit ihm gesprochen und er hatte es schließlich mit hängenden Schultern aufgegeben. Vielleicht war ihm letztlich auch klar geworden, wie lächerlich es war, mit einer 16-Jährigen in einer Pizzeria zu flirten. Jetzt sah er genervt auf, doch seine Gesichtszüge entspannten sich schnell wieder. Frischfleisch. Nicht mehr ganz so frisch.
Sie öffnete den Mund, um abermals nach Drew zu rufen. »Ich hole ihn«, sagte ich schnell, um weiterem Gebrüll zu entgehen.
Aber Drew kam schon angerannt.
»Mom, was machst du hier?«
Mom? Sie war höchstens dreißig.
Der Blick, den Drew mir zuwarf, war schwer einzuordnen. Peinlich berührt, trotzig, bittend.
»Du musst mir etwas Geld leihen«, sagte Drews Mom schnippisch.
Der vierte Tag
DREW
Bei Starbucks besteht Gaby darauf, dass sie zahlt. Ich bereue, dass ich einen großen Mocca und keinen einfachen Kaffee bestellt habe.
»Seid ihr zwei irgendwie verwandt?«, fragt die Bedienung, als sie die beiden gleichen Getränke über den Tresen reicht.
Wir lachen, verneinen und blicken uns dann an. Wir sehen uns wirklich ein bisschen ähnlich. Ich bin fünf Zentimeter größer, aber wir haben beide glatte kinnlange Haare in derselben nichtssagenden Farbe, weder blond noch braun, mit Stirnfransen, die einigen Leuten
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