Du lebst, solange ich es will
sie vierundzwanzig Stunden vor dem Computer. Sie spielte ständig mit den Programmen herum, um den Computer schneller zu machen. Allerdings funktionierte der Computer dabei am Ende manchmal gar nicht mehr.
Dann begann sie, im Internet Werbegeschenke zu bestellen. Jeden Tag kam irgendein Schrott mit der Post - ein Buch von den Mormonen, ein Käseposter, eine Meditations-DVD. Aber wenn die Sachen schließlich ankamen, interessierte sie sich schon nicht mehr dafür. Sie türmten sich einfach auf dem Esstisch, und als der zu klein wurde, stapelte sich das Zeug auf dem Fußboden.
Dann waren ihr die Werbegeschenke aus dem Internet auf einmal egal und sie begann in den Müllcontainern hinter Läden zu kramen. Hinter Bürogebäuden wühlte sie nach Stiften im Müll. Sie fand bestens erhaltene Lampen, noch mit Preisschild daran, aber ohne Anschlussstecker, doch sie meinte, Gary wäre handwerklich geschickt und könnte das reparieren.
Und irgendwann begann sie, dabei zu klauen. Es dauerte eine Weile, bis ich es mitbekam. Mir sagte sie, sie würde zu Hinterhofflohmärkten gehen, aber ich glaube, in Wirklichkeit ist sie bei Leuten eingebrochen. Einmal habe ich eine Mülltüte voller Dokumente gefunden: Führerscheine, Kreditkarten, sogar Bibliotheksausweise. Ich glaube nicht, dass sie damit irgendetwas angestellt hat. Wenn sie Geld gefunden hat, gab sie es Gary, aber alles andere behielt sie.
Sie bewahrte alles in Plastikkisten auf. Das Wohnzimmer füllte sich, ebenso das Esszimmer und ihr Schlafzimmer. Sogar in mein Zimmer stellte sie ein paar Kisten. Ich sagte ihr, sie soll einen anderen Platz dafür finden. Daraufhin hat sie mit dem Geld, das sie »gefunden hat«, einen Schrank in einer Lagerhalle gemietet.
Allerdings kam sie mit noch mehr sinnlosem Schrott vom Lagerschrank nach Hause. Es stellte sich heraus, dass die Lagerschränke oben offen sind. Mom hatte noch nie Höhenangst. Als ich klein war, kletterte sie auf höhere Bäume als ich. Und jetzt wiegt sie weniger als 45 Kilo. Ich vermute, dass sie ihre Kisten einfach so stapelt, dass sie Stufen bilden, und dann wie eine Spinne von einem Lagerschrank zum nächsten klettert. Sie ist mittlerweile so krank im Kopf, dass sie meint, das Zeug gehört niemandem, wenn es in einem Lagerschrank liegt.
Die Sache ist die: Sie benutzt nie irgendetwas davon. Sie sortiert immer nur alles. So nennt sie es. Dabei packt sie den Kram von einer Kiste in die andere. Manchmal bringt sie sogar Sachen zurück in die Lagerhalle, die sie nicht »braucht«.
Als würde sie irgendetwas davon brauchen.
Um in mein Zimmer zu kommen, muss ich über mehrere Stapel steigen und wanke dabei auf den Zehenspitzen. Mom blickt noch nicht einmal kurz auf, sortiert nur, murmelt dabei vor sich hin und kratzt sich ständig, weil es sich wohl anfühlt, als hätte sie Wanzen unter der Haut.
So hat sich meine Mutter ihr Leben sicher nicht vorgestellt. Aber so ist es gekommen.
Kann man sein Schicksal wirklich ändern?
Der achte Tag
KAYLA
Wie lange kann er mich hier behalten?
Werde ich die Sonne jemals wiedersehen? Werde ich hier sterben?
Werde ich irgendwann wollen, dass ich sterbe?
Werden sie Jahre später meine Leiche finden und sich fragen, wer ich bin? Dieser Gedanke ist der schlimmste: dass ich irgendein namenloses, totes Mädchen werden könnte, ein Haufen fremder Knochen. Vorsichtig reiße ich das Schild von einer leeren Wasserflasche. Ich könnte etwas auf die Rückseite schreiben und den Zettel in meine Hosentasche stecken, damit die Leute wissen, wer ich bin. Leider habe ich nichts zum Schreiben.
Was will er von mir? Er hat mich nicht angefasst, bis auf das eine Mal, als er mich geschlagen und aufs Bett gestoßen hat.
Aber ich glaube, nur die Platzwunde an meinem Kopf hat ihn davon abgehalten, weiterzugehen. Und dass ich mich übergehen musste. Wenn er irgendwelche verrückten Fantasien über Sklavin und Meister hat, dann offenbar nicht mit einer kotzenden Sklavin mit einer offenen Wunde am Kopf. Eine, die nach altem Schweiß und Pisse riecht.
Ich will nicht schlafen, will nicht angreifbar sein. Da ich nichts Besseres zu tun habe, habe ich mir die DVDs angesehen, die er neben den Fernseher gestellt hat. Sex and the City kommt nicht infrage, ich will ihn nicht auf irgendwelche Gedanken bringen. The Office ist unpassend, da es mir unmöglich erscheint, in diesem Raum zu lachen. Bis jetzt habe ich die erste Staffel von 24 angeschaut. Dadurch habe ich in etwa wieder ein Zeitgefühl. Bei 24 dauert
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