Du lebst, solange ich es will
jede Stunde in Wirklichkeit 41 Minuten, was irgendwie seltsam ist, aber auch nicht verrückter als alles andere hier unten.
Vierundzwanzig Episoden mit je 41 Minuten Spieldauer bedeutet, dass ich schon über einen Tag hier unten sein muss. Wahrscheinlich noch viel länger. Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe oder bewusstlos gewesen bin.
Ich habe versucht herauszufinden, ob Tag oder Nacht ist. Wenn ich das zumindest wüsste. Immer, wenn er die Tür öffnet, erkenne ich auf der anderen Seite nichts als Dunkelheit. Vielleicht ein Streifen Beton, auf den das Licht fällt oder der Schatten einer Wand, bevor er die Tür schließt, aber kein Hinweis darauf, wo wir sind oder welche Uhrzeit ist. Die Tür schließt so dicht ab, dass ich noch nicht einmal seine Schritte hören kann, die sich entfernen.
Was, wenn er mich mit einer kleinen Kamera beobachtet? Der Gedanke jagt mir wirklich einen Schauer über die Haut. Er sieht, wie ich schlafe. Wie ich Selbstgespräche führe. Nur für alle Fälle schalte ich das Licht aus, wenn ich auf Toilette gehe.
Zwar gibt es keine offen sichtbare Kamera wie in einer Bank, wo man nach oben in eine Ecke schaut und in einen schwarzen Kasten mit einer Linse blickt. Aber ich habe gehört, dass es Mini Kameras gibt, die ein Perverser hinter einem winzigen Loch in der Wand verstecken kann. Ich untersuche die glatte weiße Wand Zentimeter für Zentimeter, klettere sogar aufs Bett und überprüfe die Zimmerdecke. Auch dabei lasse ich das Licht ausgeschaltet, sollte etwas im Dunkeln leuchten, wäre es somit leichter zu finden.
Ich finde nichts.
Das Essen, das er mir bringt, könnte jede x-beliebige Mahlzeit sein. Das letzte Mal waren es ein Brötchen, eine Orange und wieder zwei Scheiben von diesem knallgelben Billigkäse. Ich frage mich, ob ich ihn um etwas Bestimmtes zu essen bitten kann, wofür man ein Messer braucht. Zum Beispiel ein Steak. Und dann kann ich ihm das Steakmesser in die Brust rammen.
Das Furchtbare ist, dass ich mir genau vorstellen kann, wie es sich anfühlen würde. Das ploppende Geräusch, wenn die Haut nachgibt und das Messer eindringt. Wie sehr ich zustoßen muss, um zu seinem Herzen zu gelangen. Ich würde es tun.
Wirklich.
Ich versuche mich an den Selbstverteidigungskurs für Mädchen zu erinnern, zu dem meine Mom Maya und mich vor vier Jahren geschleift hat. Jetzt tut es mir leid, dass ich die ganze Zeit über nur gekichert habe. Dabei war es noch nicht mal lustig, wir waren nur nervös. Wir waren dreizehn, die Kursleiterin war älter als unsere Mütter und wir sollten sie mit ernstem und wütendem Gesicht anschreien, sie solle verschwinden. Wir mussten uns auf den Fußboden legen. Sie setzte sich auf uns, drückte unsere Schultern nach unten und wir sollten sie von uns stoßen.
Auch das habe ich damals nicht geschafft.
Ich weiß nicht, ob dieser Typ mich mit den DVDs auf krumme Gedanken bringen will, aber ich wünschte, ich hätte eine Waffe wie der Typ bei 24. Oder könnte zumindest Karate. Säße Jack Bauer hier unten fest, würde er den Mann mit ein paar gezielten Tritten und einem Hieb gegen den Kopf k.o. schlagen, aus dem Raum stürmen, binnen zwanzig Sekunden ein Auto kurzschließen und nebenbei noch irgendwie die Welt retten.
Aber ich? Tja, ich bin nicht Jack Bauer.
Trotzdem versuche ich mir etwas einfallen zu lassen. Die Tür und die Toilette befinden sich in gegenüberliegenden Ecken, aber der Raum ist so klein, dass sie dennoch nicht weit voneinander entfernt sind. Vielleicht kann ich mich aufs Klo stellen, den Fernseher hochhalten und dem Typen auf den Kopf krachen lassen, wenn er das nächste Mal reinkommt. Aber der Fernseher ist ziemlich schwer, zumindest für mich in meinem derzeitigen Zustand, und ich habe keine Ahnung, wann der Mann hier das nächste Mal auftauchen wird. Vielleicht kann ich die Lichtröhre abschrauben, in der Dunkelheit auf ihn warten und sie ihm dann wie einen Schläger entgegenschleudern. Allerdings fürchte ich, dass er davon höchstens verdammt schlechte Laune bekommt.
Wäre das hier 24, würde das Bett auf einem Metallgestell liegen und ich könnte eine der Federn herausnehmen und zu einer Waffe umbauen. Aber es ist ein Futonbett, das auf einem Lattenrost liegt und sich tagsüber in eine Couch verwandeln lässt. Ich habe es zur Couch hochgeklappt und lasse es jetzt so, auch, wenn ich schlafe. Ich will ihn nicht auf Ideen bringen.
Allerdings bin ich mir sicher, dass er die schon hat.
ZETTEL IN DER
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