Du machst Schule!: Warum das Bildungssystem versagt, was junge Menschen wirklich lernen müssen und wie wir ihnen dabei helfen
wurde, vergisst man nie mehr. Deshalb ist es wichtig, auf Fragen keine fertigen Antworten zu liefern, sondern nur so viel zu helfen, wie notwendig ist, damit der Suchende seinen Weg selbst fortsetzen kann.
Damit erteile ich der Fragekultur im heutigen Schulsystem eine Abfuhr. Die meisten Fragen stellt dort der Lehrer, um die Schüler auf sein eigenes Ziel hinzuführen. Das hat nichts mit
Anregung zu selbstständigem Denken zu tun, sondern dem Schüler wird von einem allwissenden Lehrer vorgekaut, wie die Dinge zu verstehen sind. Was dabei jede Kreativität zerstört, ist die begrenzte Sichtweise des Fragestellers, der natürlich seinen Lösungsweg als das Nonplusultra ansieht. Dabei wissen wir alle, dass es mehrere Wege nach Rom gibt. Nicht alle eignen sich für den Einzelnen. Somit braucht man sich nicht zu wundern, wenn aus dem Schülermund nur noch maximal schlechte Fragen kommen, nämlich solche, die ihn in seiner Bequemlichkeit unterstützen: »Ich habe das nicht verstanden, wie macht man das?« löst im Lehrer sofort das Helfersyndrom aus. Doch einem Schüler, dem das eigene Denken abtrainiert wird, der richtet es sich in seiner Komfortzone sehr gemütlich ein. Mehr und mehr geht ihm die natürliche Neugier verloren, bis hin zum kollektiven Tiefschlaf. Dann ist es auch kein Wunder, wenn der Lehrer irgendwann erbost ausruft, warum denn alle so blöd seien, er hätte doch alles schon hundertmal erklärt. Nur hat er so viel erklärt, dass die Schüler innerhalb der Lösungsprozesse nicht einmal mehr variieren können. Sie können die Aufgabenstellung nur nach Schema F entschlüsseln, Abweichungen konnten sie nie ausprobieren. Es ist nur folgerichtig, dass der Schüler irgendwann keine intelligenten Fragen mehr stellt, will er doch nicht für blöd gehalten und belächelt werden.
Der Unterricht wird für alle ein Erlebnis, wenn Lehrer die Antworten nicht in »richtig« und »falsch« kategorisieren, sondern echtes Interesse daran haben, wie die Schüler zu ihren Ergebnissen kommen. Idealerweise beginnt und endet die Stunde mit einer Frage. Das weckt die Wissbegierde. Wenn der Lehrer selbst noch ein neugieriger Mensch ist, für den das Leben voller Überraschungen steckt, die er begeistert erforschen mag, dann lebt er einen fragenden und engagierten Lebensstil vor, der in erster Linie vermittelt: Du machst Schule!
Das Recht auf Gehör
Wer hat als Schüler nicht schon ähnliche Situationen erlebt: Man bittet einen Klassenkameraden leise um einen Stift und der Lehrer brüllt einen an, man solle nicht dumm herumquatschen. Oder man hat eine Frage, meldet sich, und weil man nicht drankommt, verschiebt man sie auf einen späteren Zeitpunkt. In einer Stillarbeitsphase, allerdings mit neuem Themenschwerpunkt, wendet sich der Lehrer einem endlich zu. Man formuliert seine Frage, um dann vom Lehrer zu hören zu bekommen, dass das jetzt nicht passe und man sich doch auf die neue Aufgabe konzentrieren möge. Eine weitere typische Situation: Ein Schüler und eine Schülerin werden vom Lehrer wegen eines ungelösten Konflikts zu einem Gespräch gebeten. Dem Schüler wird zuerst das Wort erteilt. Er heult direkt los, um das Herz des Lehrers zu erweichen. Sofort fällt ein schlechtes Licht auf das Mädchen, denn der Lehrer lässt sich von den Tränen sehr beeindrucken, wiegelt die Einwände der Schülerin, dass der Junge das immer so mache, ab und konstatiert stattdessen, dass niemand auf Kommando heulen könne. Egal, was das Mädchen zu seiner Verteidigung unternimmt, die Aufmerksamkeit gilt dem besseren »Schauspieler«.
In allen drei Fällen bleibt ein verletzter Mensch zurück. Einer, der sich unverstanden und mit seinen Wünschen und Bedürfnissen ignoriert fühlt. Er konnte sich nicht äußern, seine Interessen wurden nicht ernst genommen. So ein weghörendes Verhalten ist mehr als geringschätzend und hinterlässt bei den Betroffenen das Empfinden von Ungerechtigkeit und ein Minderwertigkeitsgefühl. Aktives Zuhören ist nicht unbedingt eine menschliche Stärke, schon gar nicht die von Lehrern. Dabei sollten gerade sie die Mechanismen beherrschen und vorbildlich leben. Auch Lehrer haben von klein auf das Schulsystem mit seinen beurteilenden Bewertungsmaßstäben kennengelernt. Nun sehen sie sich als Leistungsförderer
und fühlen sich unentwegt dafür verantwortlich, Schülerverhalten einzuordnen, zu bewerten und zu verbessern. Dabei beurteilen und reagieren sie in erster Linie aus ihrem eigenen Blickwinkel. Die
Weitere Kostenlose Bücher