Du machst Schule!: Warum das Bildungssystem versagt, was junge Menschen wirklich lernen müssen und wie wir ihnen dabei helfen
Renitenz zu
tun, sondern schlicht und ergreifend mit dem Umstand, dass kein Mensch sich in eine Aufgabe vertieft, von der er sich nicht angesprochen fühlt. Lernen ist Hingabe. Wer von einer Thematik emotional berührt wird, der will die Nüsse knacken, die ihm das Leben präsentiert. Wer aufgrund von Vulkanasche in der Atmosphäre tagelang am Flughafen auf seinen Heimflug warten musste, der wird im Erdkundeunterricht mit einer ganz anderen Motivation an die Frage herangehen, wie Vulkane entstehen, als jemand, der sich pflichtschuldig ein Schülerreferat über Vulkanismus aus dem Internet zieht. Lernen ist immer dann von Erfolg gekrönt, wenn sich der Schüler wie ein Sherlock Holmes auf Spurensuche begeben kann. Dann ist er voller Begeisterung und Neugier bei der Sache, so sehr, dass er alles um sich herum vergessen kann. Doch ein »Spürhund« muss selbst die Witterung aufnehmen dürfen. Lernen ist stets eine Eigenaktivität, über die der Mensch selbst bestimmen und entscheiden möchte. Außerdem knüpft die Neigung für ein bestimmtes Interessengebiet immer auch an bisherige persönliche Erfahrung an. Damit ist der Heranwachsende – wie Maria Montessori es formulierte – von Geburt an »ein Baumeister seines Selbst«. Er wird neugierig die Dinge näher untersuchen und begreifen wollen, die ihn ansprechen und für seinen individuellen Reifungsprozess ausschlaggebend sind. Diese Entwicklung braucht Begleiter, die eine Vielfalt an geistiger Nahrung bereitstellen. Was jedoch »gegessen« wird, das entscheidet letztendlich jeder Einzelne selbst. Ref 28
An dieser Stelle setzt in der Regel ein kollektiver Lehreraufschrei ein. Wo soll das denn hinführen, wenn Schüler selbst entscheiden, was sie lernen wollen? Dabei kann doch nichts rauskommen! Gegenfrage: Was kommt denn dabei heraus, wenn Schüler den Vormittag im Tiefschlaf verbringen und zwei Wochen nach einer Klassenarbeit alles dafür Gelernte wieder vergessen haben? Wie viel Wissen ist Ihnen selbst denn
noch aus Ihrer Schulzeit präsent geblieben? Ist es nicht eher so, dass Sie sich an die Themen erinnern, die Sie mit Begeisterung und großem persönlichen Einsatz angingen? Und ist es nicht viel wichtiger, dass der Einzelne lernt, Probleme eigeninitiativ anzugehen, sinnvoll zu handeln und Ergebnisse zu erzielen? Wie viele Schüler sind nicht mehr in der Lage, strategisch zu denken, weil ihnen alles vorgekaut wird? Lernen bedeutet, persönliche Grenzen zu überschreiten, um sich weiterentwickeln zu können. Das ganze Leben präsentiert dem Individuum Hindernisse, an denen es wachsen oder vor denen es kapitulieren kann. Wer mitbestimmen kann, was er wann wie lernen möchte, dessen Leben ist von Erfolg erfüllt und von großer Sinnhaftigkeit.
Es gibt keine faulen Schüler! Es gibt nur demotivierte und desillusionierte Schüler. Wem laufend in die Suppe gespuckt wird, der mag sie irgendwann nicht mehr auslöffeln. In Lernprozesse von außen einzugreifen bedeutet eine ständige Entmutigung! Kein Mensch mag Korrekturen. Jeder weiß selbst, woran es hakt, wenn etwas noch nicht klappt. Dazu gehört auch das Recht, unfertige Arbeiten wegzulegen und irgendwann mit neuem Elan anzugehen. Das einzige Korrektiv ist das Leben selbst. Der Mensch ist durchaus in der Lage, zu erkennen, ob ein wünschenswertes Ergebnis erreicht wurde oder nicht. Ihm allein steht die Beurteilung zu – und auch die Entscheidung, ob er sich Unterstützung holen möchte.
Der Schüler bestimmt seinen Werdegang und nicht der Pädagoge. Die Erzieher begleiten idealerweise die Lernenden, bieten eine Plattform zur Selbstreflexion, stellen durch eine vorbereitete Umgebung alles für eine optimale Lern- und Leistungsentfaltung zur Verfügung, motivieren zum Durchhalten, trösten, bauen auf, spiegeln dem Heranwachsenden seine Ressourcen, damit er aus diesen vollen Töpfen schöpfen kann. Die Aufgabe des Lehrers ist es nicht, die Probleme der Schüler zu
lösen, sondern diese in die Lage zu versetzen, selbstständig zu handeln und zu lernen.
Jeder Schüler, der sein Leben selbst verantworten darf und dem man Ernsthaftigkeit zutraut, entwickelt Verantwortung, Selbstständigkeit und Selbstwertgefühl. In diesem Sinne entspricht es seinem Persönlichkeitsrecht, seine Lernprozesse selbst zu steuern, seine Lernzeit einzuteilen und die Lerninhalte mitzubestimmen. Nur so können die einzigartigen Interessen und Neigungen ausreichend berücksichtigt werden. Das hat nichts mit Spaßpädagogik oder einem
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