Du machst Schule!: Warum das Bildungssystem versagt, was junge Menschen wirklich lernen müssen und wie wir ihnen dabei helfen
Schüler so niemals Rechnen und Schreiben lernen würden, kann darauf vertrauen: Sie lernen es. Weil sie selbst wissen, dass man sein Eis nur kaufen kann, wenn man die Karte lesen und mit seinem Taschengeld umgehen kann. Das Leben stellt jeden Tag so viele Fragen, sie wollen alle beantwortet werden. Aber nicht nach Plan, sondern nach Bedarf. All diese Fragen brauchen keine Noten. Sie sind bestens beantwortet, wenn sie keine weiteren Fragen mehr aufwerfen.
Warum fällt es den Menschen nur so schwer, sich von Bildungssystemen zu lösen, die sich einfach nicht bewähren? Seit Urzeiten wird über die Schule und ihre Notengebung geklagt, nichts ändert sich. Wollen wir nun die nächsten fünfhundert Jahre weiter klagen? Wer etwas nicht will, sucht nach Gründen, wer etwas will, sucht nach Wegen. Tun wir nichts, weil es uns immer noch zu gut geht? Was kann es denn noch Schlimmeres geben als die eigene Handlungsunlust und Bequemlichkeit? Oder steckt etwa ein schier unglaublicher Gedanke dahinter, den Vera Birkenbihl einmal in einem Vortrag »Warum Unterricht an deutschen Schulen nicht gelingen kann« zum Ausdruck brachte: »Wenn Schule nun doch alles richtig macht, was ist, wenn sie dazu da ist, die Schüler zu verdummen? Ein System, welches so viel Ausschuss produziert, würde doch in jedem anderen System hinterfragt werden.« Ref 36
Ein Muss in der Schule der Zukunft: Verantwortung übernehmen
Die Schule der Zukunft braucht verantwortliche Lehrer, Schüler und Eltern. Denn dass keiner von uns Verantwortung übernimmt – für das Lehren, das Lernen, die Erziehung – ist meiner Ansicht nach eines der größten Probleme in unserem derzeitigen Schulsystem. Ein konkretes Beispiel: Jedes Jahr nach den Sommerferien informiert der Fachbereich Musik die Schüler über geplante Projekte und fragt nach, wer wobei gern mitmachen möchte. Die Schüler haben heute prall gefüllte Terminkalender, ein Ereignis jagt das nächste, keiner möchte etwas verpassen oder auf etwas verzichten. Es ist mittlerweile beinahe unmöglich geworden, eine konstante und fundierte Schulorchesterarbeit über mehrere Jahre hinweg zu gewährleisten. Also werden zeitlich überschaubare Aktionen vorgeschlagen, die Konzerte entsprechend den sich spontan bildenden
Gruppierungen geplant und die Musikstücke so arrangiert, dass sie exakt auf die Mitspieler und die sich bietende Situation zugeschnitten sind.
Um die Aufmerksamkeit der Schüler für die geplanten Vorhaben zu gewinnen, wird fleißig in der Schülerschaft für die Projekte geworben und gleichzeitig der Arbeitsaufwand verbal schon mal relativiert. Die Lehrer servieren die Lerninhalte in Form kleiner Häppchen, mundgerecht auf einem Tablett. Wem es nicht schmeckt, für den wird nach Lösungen gesucht. Der Schüler wird so lange getätschelt und umsorgt, bis ihm alles passt. Mir kommt es häufig so vor, als ob die Pädagogen um die Gunst der Lernenden schon fast betteln und sie durch den Schulalltag schieben wie einen kaputten Traktor durch einen aufgeweichten Acker. Der Pädagoge rackert, der Heranwachsende lässt geschehen.
Auf diese Art muss sich der Schüler immer weniger selbst anstrengen und wird dabei um reale Lernerfahrungen gebracht. Zeigt sich da etwa die Unfähigkeit des Lehrers selbst, Widerstände zu überwinden? Denn wer alles auf ein annehmbares Level zurechtbiegt, der kann unangenehmen Konfrontationen ausweichen. Damit wird die Latte tatsächlich von vornherein immer tiefer gelegt, und dem Lernenden wird suggeriert, dass Anstrengung per se unzumutbar ist.
Infolgedessen entscheiden die Schüler bei der Auswahl unter diversen Förderangeboten heute vor allem danach, was ihnen Spaß macht und wo sie etwas geboten bekommen. Dass jedes Engagement vor allem mit Eigenverantwortung und Lernbereitschaft zu tun hat, dessen sind sich viele Heranwachsende gar nicht bewusst, denn sie bekommen es nicht gelehrt. Dafür haben sie vor allem erfahren, sich im Leben die Rosinen aus dem Kuchen zu picken. Doch das Leben ist der gesamte Kuchen, die Rosinen gibt es als Extra. Das wird gern übersehen. Wer beispielsweise für sein städtisches Jugendorchester
die Schüler mit Rosinen lockt und Weltreisen rund um den Globus anbietet, der wird natürlich mit so einem tollen Förderangebot bei den Jugendlichen einen Punktsieg landen. Doch spätestens dann, wenn erkannt wird, wie viel Fleiß und Zeit solch ein Projekt einem persönlich abverlangt, setzt sehr schnell die Ernüchterung ein. In diesen
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