Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
Vom Netzwerk:
nichts?«
    »Ich finde sie hübsch!«
    Morgan jaulte auf.
    »Hast du nicht gesehen, was sie mit der Katze gemacht hat?«
    Er zeigte zur Küche.
    »Ich erschlage keine Schlange, solange ich nicht dafür bezahlt werde«, behauptete ich.
    Morgan kam auf mich zu und wollte mich in den Magen boxen, aber Mama ging dazwischen.
    »Hört auf!«
    Sie wandte sich Morgan zu. »Jetzt lade bitte das Programm runter, wie du es versprochen hast, und trag das Bettzeug wieder nach oben.«
    Morgan holte zu einem Tritt gegen mich aus, aber ich wich zurück, und er traf mich nicht. Mama ging wieder dazwischen.
    »Er ist so ein verdammter Idiot!«, brüllte er. »Ich kapier nicht, wie man so viel Rotz im Kopf haben kann!«
    Mama schubste ihn vor sich her.
    »Lade das Programm runter, wie du es versprochen hast. Ich brauche es.«
    »Rotz im Kopf!«, brüllte Morgan. »Und mit so einer Null ist man verwandt!«
    »Lade jetzt bitte das Programm runter«, bat Mama erneut.
    »Rotzrübe!«, schrie Morgan.
    »Tu, um was ich dich bitte«, wiederholte Mama. »Ich brauche es morgen für meine Präsentation.«
    »Werd ich dafür bezahlt?«, fragte Morgan.
    »Du bekommst was zu essen«, sagte Mama. »Heute Abend gibt es Krebse.«
    Sie verschwanden im Vorraum.
    »Krebse!«, jammerte Morgan. »Von Krebsen wird doch kein Mensch satt. Ich will ein Steak.«

    Die Sonne war hinter unserem Haus verschwunden, die Treppe und der untere Teil der großen Eiche lagen im Schatten, als Mama nach mir rief. Ich sollte ihr helfen, den Tisch unter der Eiche zu decken, ich sollte Wolldecken auf die Stühle legen, die Messingleuchter mit neuen Kerzen bestücken, und dann sollte ich die Bierflaschen rausschleppen und in einen Eimer mit Eiswasser stellen. Ich sollte für vier Personen decken. Morgan war auf einem Fest der Fußballmannschaft, und außerdem verabscheute er Krebse.
    Ich tat, was Mama mir aufgetragen hatte, und als ich fertig war, kam Dick. Er kurvte mit dem Fahrrad durch unsere Pforte und klingelte. Diesmal trug er weiße Jeans und ein weißblau gestreiftes Hemd, das neu aussah. Er hatte einen Strauß Rosen mitgebracht. Das Papier hatte er schon halb abgestreift, ehe er auf unseren Hof eingebogen war. Er trug auch andere Schuhe als beim letzten Besuch. Jetzt waren es weiße Turnschuhe, und auf Knöchelhöhe war ein blauer Anker auf den weißen Socken. Um die Schultern hatte er einen hellblauen Pullover aus Schurwolle gelegt. Die Ärmel waren vor seinem Hals verknotet, damit der Pullover nicht herunterrutschte.
    Mama hatte die Fahrradklingel gehört und war auf die Treppe herausgekommen, um ihn zu begrüßen. Sie hatte eine funkelnagelneue weiße Baumwollhose mit zuckerwürfelgroßen rosafarbenen Vierecken an, dazu eine dunkelblaue Bluse mit Puffärmeln und Schnüren, die von einem Knopf an den Ärmeln herunterhingen. Die Haare trug sie offen. Der rosa Lippenstift passte im Ton zu den Vierecken auf ihrer Hose und der Lidschatten zum Blau der Bluse. Ihre Zehennägel in den schmalen hochhackigen Sandalen hatte sie blutrot lackiert.
    Sie lächelte. Dick Bengtsson war deutlich anzusehen, dass er sie unwiderstehlich fand. Er wirkte zufrieden, erwartungsvoll und selbstgefällig – eine Mischung, die sein braun gebranntes Gesicht leuchten ließ. Er klappte den Ständer herunter und parkte das Fahrrad genau vor der Treppe.
    »Anna!«, rief er. »Du siehst so richtig nach Sommer aus!«
    Und Mama sah aus, als hätte sie genau das gehört, was sie am liebsten hören wollte. Dick breitete die Arme aus und umarmte sie, als wären sie alte Klassenkameraden, die sich seit der ersten Klasse kannten und nun nach dreißig Jahren zum ersten Mal wieder trafen.
    Er überreichte ihr den Rosenstrauß, während er gleichzeitig die andere Hälfte des Papiers herunternahm.
    »Rosen!«, rief Mama in einem Ton, als bekäme sie zum ersten Mal in ihrem Leben Rosen geschenkt. »Und so viele!«
    Sie steckte die Nase in den Strauß und sog den Duft ein. Dann hob sie das Gesicht und verdrehte die Augen, als wollte sie Dick zu verstehen geben, was für wunderbare Rosen das waren und wie sehr sie sich über diese schönen Rosen freute.
    »Annie!«, rief sie und drehte sich zur Treppe um. »Annie! Unser Gast ist da.«
    Es blieb still, und Mama zuckte mit den Schultern, als wollte sie ausdrücken, na ja, Jugendliche, man weiß nie, wo sie stecken. Dann bat sie Dick einzutreten.
    Er nickte und streckte mir die Hand hin.
    »Grüß dich, Junge«, sagte er so leise, als hätten wir ein Geheimnis, das

Weitere Kostenlose Bücher