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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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Acht!«
    Ich fuhr zum Bahnhof, wo die Vorortzüge hielten, stellte mein Fahrrad im Ständer ab und kaufte mir eine Fahrkarte in die Stadt. Die Karte kostete ein Vermögen.
    Die Bänke auf dem Bahnsteig waren frisch gestrichen, und man hatte Hinweisschilder aufgehängt, damit sich niemand daraufsetzte und sich die Klamotten versaute. Im Schatten unter dem Dach beim Ausgang drängte sich ein halbes Dutzend Fahrgäste, die vermeiden wollten, ins Schwitzen zu geraten. Ich ging in die Sonnenglut hinaus und schaute auf die Gleise. Am Himmel war keine einzige Wolke. Als ich den Bahnsteig einige Meterweiter entlangging, konnte ich ein Stück vom See sehen, und wenn die Erlen nicht gewesen wären, hätte ich auch unser Haus sehen können. Die Gleise fingen an zu singen, und die Leute, die im Schatten gestanden hatten, strömten zum Perronrand.
    Der Zug kam angebraust, wurde langsamer und hielt. Ich begegnete dem Blick des Fahrers, stieg ein und setzte mich mitten in den halb leeren ersten Wagen. Als der Zug gerade anfahren wollte, kamen eine Frau und ein Kind angelaufen. Die Frau trug ein schwarzes Kleid, schwarze Strümpfe und hochhackige schwarze Schuhe, das Kind dagegen ein helles Kleid mit rosa Punkten, und um den Hals hatte es eine Kette mit einem silbernen Kreuz
    Die beiden nahmen mir gegenüber Platz. Die Füße des Kindes reichten nicht bis zum Boden. Mutter und Tochter unterhielten sich.
    »Aber warum hat er das alles getan, was sollte das?«, fragte das Kind.
    »Das weiß niemand. Niemand weiß, ob es ihn überhaupt gibt.«
    Das kleine Mädchen runzelte die Stirn.
    »Aber wenn es ihn gibt, wer hat ihn dann gemacht?«
    Die Frau sah müde aus.
    »Das weiß niemand.«
    Das Mädchen blieb hartnäckig.
    »Jemand muss ihn doch gemacht haben, es gibt doch nichts ohne Grund, oder?«
    »Das stimmt«, behauptete die Frau.
    »Wenn man zum Beispiel einen Zug macht«, fuhr das Kind fort, »dann hat man einen Grund. Man will, dass jemand damit fährt, oder? Man macht keine Sachen ohne Grund.«
    Die Frau nickte, schwieg jedoch.
    Der Zug hatte den Bahnhof verlassen und war schneller geworden. Ein junger Mann im Trainingsanzug kam auf uns zuund zeigte uns allen dreien einen in Plastik verpackten Zettel, bevor er ihn auf den Sitz neben das Mädchen legte und weiterging. Er hatte ein ganzes Bündel solcher Zettel in der Hand.
    »Ich habe drei kranke Geschwister in Rumänien«, las das Mädchen halblaut vom Zettel ab. Es konnte gut lesen und musste sich nur durch »Rumänien« buchstabieren.
    »Wo liegt das?«, fragte sie.
    »In der Nähe von Griechenland«, antwortete die Frau.
    »Wollen wir da wieder hinfahren?«, fragte das Kind und zappelte mit den Beinen. Es trug kurze weiße Strümpfe und rosafarbene Turnschuhe. Die Beine waren sehr braun gebrannt.
    »Vielleicht«, sagte die Frau.
    Das Kind sah aus dem Fenster.
    Die Frau öffnete ihre Handtasche und nahm ein Comicheft heraus, das sie dem Kind gab.
    Nach einer Weile kam der Mann mit dem Trainingsanzug wieder und holte seinen Zettel ab. Kurz darauf hielt der Zug, die Frau nahm das Kind bei der Hand, und die beiden stiegen aus.
    »Ich glaube auch nicht, dass es Engel gibt«, sagte das kleine Mädchen nachdrücklich, als die Frau seine Hand ergriff.
    Ich war nicht zum ersten Mal in Stockholm, aber ich war zum ersten Mal allein in die Stadt gefahren. Ich wollte etwas kaufen von dem Geld, das ich von Berger bekommen hatte, obwohl es nichts gab, was ich haben wollte, außer einem Mückennetz vielleicht.
    Ich trieb mich in der Altstadt und am Hötorget herum. In den Straßen war es sehr warm, es wimmelte von Touristen in Shorts, farbenfrohen T-Shirts, Sandalen und Sonnenbrillen. Nach einer Weile fuhr ich wieder zurück, ohne etwas gekauft zu haben.
    Als ich nach Hause kam, traf ich Mama und Morgan. Sie hatten einen Fernseher gekauft, den Morgan und ich ins Wohnzimmertrugen und neben der Matratze abstellten, auf der er die Nacht verbracht hatte.
    »Ich habe die Schlange heute Morgen gesehen«, log ich. »Sie kroch über den Schotter vor der Treppe und ist bei der Eiche verschwunden.«
    Morgan starrte mich mit seinen Rattenpimmelaugen an.
    »Du hast sie doch hoffentlich erschlagen?« Er schnappte keuchend nach Luft. »Hast du sie etwa nicht erschlagen?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    Er sah aus, als würde er gleich vor Wut anfangen zu weinen.
    »Begreifst du nicht, was es bedeutet, dass wir eine Schlange auf dem Grundstück haben? Annie ist draufgetreten. Kapierst du denn gar

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