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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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schneiden«, sagte ich.
    »Aber bloß nicht zu viel«, protestierte Mama. »Es ist doch schön, wenn man vor fremden Blicken geschützt ist.«
    »Genau das finde ich auch!« Dick strich sich mit einem Zeigefinger über den Schnurrbart.
    »Ich habe versprochen, sie zu schneiden«, sagte ich. »So riesige Hecken können Schwierigkeiten machen.«
    »Du weißt ja einiges über die Gartenkunst, höre ich«, sagte Dick. »Hast du schon im See geangelt?«
    »Sie haben gesagt, dass es nur Plötzen gibt.«
    »Stimmt.« Dick sah bekümmert aus und tauchte die Oberlippe in das Glas, warf den Kopf zurück und kippte den halben Drink in sich hinein.
    »Hast du heute freigehabt?«, fragte Mama.
    Dick schüttelte den Kopf.
    »Viele sind in Urlaub. Man muss dauernd für jemanden einspringen. Und du?«
    »Mein Laden in der Västmannagtan ist noch nicht fertig. Sobald die Handwerker raus sind, eröffne ich ihn. Annie will übrigens auch Friseurin werden. Sie kommt jetzt auf so einen Zweig am Gymnasium. Da muss man viele Punkte mitbringen, um angenommen zu werden.«
    Mama kühlte ihre Zunge in dem Drink und fischte eine grüne Olive heraus, nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger, biss hinein und spuckte den Kern in Richtung Ligusterhecke.
    »Aha, dann weiß man ja, wo man sich in Zukunft die Frisur in Ordnung bringen lassen kann«, sagte Dick.
    Mama lächelte.
    »An einem Mann sind zerstrubbelte Haare schön.«
    Dick strich sich mit der Rechten über den Kopf.
    »Mama«, sagte ich.
    Sie sah mich an, und ich hatte das Gefühl, als würde ich stören.
    »Was ist, Tom?«
    »Berger hat gefragt, ob du ihm die Haare schneiden kannst.«
    »Warum sollte ich das?«
    »Er hat gefragt, ob du es willst.«
    Mama schnaubte.
    »Er muss schon zum Friseur gehen wie jeder normale Mensch auch.«
    Sie wandte sich wieder Dick zu.
    »Dann soll ich ihm also bestellen, du machst es nicht?«, fragte ich.
    »Er muss zum Friseur gehen wie jeder normale Mensch«, wiederholte Mama.
    »Er ist fast hundert«, behauptete ich. »Er geht am Stock, den lässt er dauernd fallen, und er kann schlecht sehen.«
    Jetzt klang Mamas Stimme irritiert.
    »Ich bin in diesem Haus aufgewachsen, Berger war zwanzig Jahre lang mein Nachbar. Ich weiß, wie alt er ist. Und ich denke nicht daran, ihm die Haare zu schneiden.«
    »Mit der Eintracht unter Nachbarn ist das so eine Sache«, sagte Dick. »Die funktioniert nicht, wenn man Forderungen an den anderen stellt.«
    In dem Augenblick klingelte mein Handy. Ich stand auf und ging ins Wohnzimmer, wo Annie mit jemandem telefonierte, während sie am Fenster stand und Mama und Dick beobachtete.
    »Tom«, sagte Berger in mein Ohr. »Tom! Hörst du mich?«
    Seine Stimme klang energisch.
    »Ja«, sagte ich.
    »Die Graugestreifte ist hier!«, behauptete er. »Sie sitzt auf dem Rasen unter dem Cox Pomona.«
    Berger gehörte zu den Leuten, die brüllten, wenn sie telefonieren.
    Ich ging in die Küche. Die grau gestreifte Katze lag auf dem Handtuch und keuchte.
    »Sind Sie sicher?« Ich beugte mich über die Katze und streichelte ihren Kopf.

    11

    Ich steckte das Handy in die Tasche und kehrte auf die Veranda zurück. Annie hatte sich auf meinem Platz niedergelassen.
    »Ich komm gleich wieder«, sagte ich zu Mama. Auf ihre Frage, wohin ich gehe, antwortete ich nicht, sondern drehte auf dem Absatz um und haute ab.
    Ich benutzte die kleine Pforte, und als ich auf der Straße war, hörte ich Dick lachen, laut und ein bisschen angestrengt. Dann fing Annie auch an zu lachen, und ich öffnete die Pforte zu Bergers Grundstück. Das Lachen auf der anderen Seite der Hecke verstummte.
    Die Haustür stand wie gewöhnlich offen. Langsam, um die Katze nicht zu verscheuchen, falls doch eine da war, ging ich den Schotterweg entlang, an der Treppe vorbei und hinunter zu den Weiden am See. Keine Katze. Ich kehrte um und ging zu Berger.
    Er saß in dem Sessel mit den beiden Kissen im Rücken, den Stock zwischen den Beinen. Vermutlich hatte er sich den ganzen Tag nicht angezogen, denn er trug einen verwaschenen dunkelblauen Morgenmantel aus Frottee, unter dem seine dünnen weißen Beine hervorragten. Seine Füße schienen überhaupt kein Fleisch mehr zu haben, nichts weiter als Knochen und teigfarbene Haut. Die Zehennägel waren grün.
    »Hallo«, sagte ich, und er drehte langsam den Kopf.
    »Hast du sie gesehen?«
    »Nein.«
    »Sie sitzt unterm Apfelbaum.«
    »Ich habe sie nicht gesehen.«
    »Dann hast du sie verschreckt. Hol bitte Nofretete.«
    Ich sah mich um

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