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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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uns zwang zu flüstern. Genau wie beim letzten Mal drückte er meine Hand, nicht zu lasch, aber auch nicht zu fest.
    »Wie geht es den Schürfwunden?«, fuhr er fort, schien jedoch keine Antwort zu erwarten. Er folgte Mama in den Vorraum. Dort stand sie mit den Rosen und sah hübsch und erwartungsvoll aus. Das Blumenpapier hatte Dick zu einer Kugel zusammengeknüllt.
    »Ich nehme es.« Ich streckte eine Hand aus. Dick reichte mir die Papierkugel fast dankbar.
    Mama ging voran ins Wohnzimmer.
    »Wir haben heute einen neuen Fernseher gekauft«, erzählte sie und zeigte auf den riesigen Bildschirm.
    Dick sah sich um, musterte die Wände, die Verandatüren, den frisch abgeschliffenen Fußboden und die gestrichene Decke. Sein Blick blieb an der Wandmalerei mit den drei nackten Frauen hängen.
    »Donnerwetter!« Er sah verblüfft aus. »Die müssen sich ja für nichts schämen.«
    »Sie sind schön, nicht?« Mama verdrehte die Augen. Das macht sie oft, wenn ein Mann in der Nähe ist.
    »Es ist dieselbe Person«, behauptete ich. »Rechtes Profil, von vorn und linkes Profil.«
    »Du hast recht!«, rief Dick aus. »Jetzt sehe ich es. Das ist ja ein Ding. Ein und dieselbe Person!«
    »Es ist seine Geliebte«, klärte ich ihn auf. »Dagerman, der das Haus gebaut hat, hatte eine Geliebte.«
    Mama sah mich erstaunt an.
    »Was du alles weißt!«
    Dick stimmte ihr zu.
    »Du bist wirklich gut unterrichtet. Gibt’s noch mehr, was man von dem Kunstwerk wissen muss?«
    »Im Nachbarhaus gibt es ein ähnliches«, erklärte ich. »Aber darauf sind drei Männer, besser gesagt drei Abbildungen vom selben Mann. Man sieht ihn im linken Profil, von vorn und im rechten Profil. Und er ist auch nackt.«
    »Bei dem Deutschen«, sagte Mama. »Als ich klein war, hing ein Vorhang vor dem Gemälde.«
    Sie drehte sich zu Dick um.
    »Tom hat sich in der Gegend als Gärtner beliebt gemacht.«
    Dann zeigte sie mit der Hand, in der sie die Rosen hielt, zur Verandatür.
    »Jetzt nehmen wir einen Drink.«
    Sie führte Dick hinaus, und ich folgte ihnen in die drückende Wärme.
    Auf der Westseite, die zur Ligusterhecke und Bergers Grundstück lag, hatte Mama vier Stühle in einem Halbkreis aufgestellt. Rechts von den Hängebirken ging langsam die Sonne unter. Mama verschwand im Haus.
    Dick setzte sich. Ich wählte den Stuhl, der am weitesten von ihm entfernt stand.
    »Aha, Gärtner«, sagte er. »Interessierst du dich für Gartenkunst?«
    »Ich interessiere mich mehr fürs Geldverdienen.«
    »Und Montag fängt die Schule an.«
    »Genau.«
    Da erschien Annie in ihrer Piratenhose und einer roten Bluse. Sie war barfuß und ungeschminkt, und Dick war anzusehen, dass er sich zurückhalten musste, um nicht etwas Anzügliches zu sagen. Er stand auf und begrüßte sie. Niemand hat so lange Finger wie Annie. Die Fingernägel waren nicht lackiert, und sie war wirklich hübsch. Dick hielt ihre Hand einen Augenblick zu lange fest, bevor er sich wieder auf seinen Platz sinken ließ. Er lächelte Annie an, die sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich und zurücklächelte.
    Mama kam auf ihren klappernden hochhackigen Sandalen aus dem Haus. Sie trug ein Tablett mit vier Gläsern und beugte sich ein wenig vor, damit Dick einen Blick auf die Leckereien werfen konnte.
    »Die zwei rechts sind alkoholfrei«, erklärte sie. »Und von den anderen beiden ist das Glas, das ganz am Rand steht, ziemlich schwach.«
    Dick lächelte.
    »Ich glaube, ich verstehe«, sagte er. Dann bekamen Annie und ich unsere Gläser, Mama nahm ihrs, lehnte das leere Tablett gegen die Hauswand und ließ sich neben Dick nieder.
    Sie hob ihr Glas.
    »Willkommen, Dick!«
    Er nickte uns allen dreien nacheinander zu, aber dann klingelte Annies Telefon, und sie verschwand im Haus. Dick sah ihr nach, riss sich aber zusammen und beugte sich schnell zu Mama.
    »Was war das für ein Gefühl, Sundsvall zu verlassen?«
    Mama schnaubte.
    »Was ist das für ein Gefühl, wenn die Grütze aufgegessen ist?«
    »Ha!«, sagte Dick. »Ich verstehe.«
    »Nichts gegen Sundsvall«, sagte Mama, »aber es ist ein Kaff. Früher haben wir in Göteborg gewohnt. Ich sage immer, Stockholm ist am schönsten, aber die Göteborger sind die Nettesten. Stockholm voller Göteborger, das wäre ein Knaller! Wenn meine Mutter nicht gestorben wäre, wären wir nach Göteborg zurückgezogen.«
    Mama nippte an dem Drink, Dick an seinem.
    »Eine fantastische Hecke!« Er zeigte mit dem Glas in der Hand auf die Ligusterhecke.
    »Ich werde sie

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