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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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Streichholzschachteln, ein Paket mit Zweizollnägeln und ein Päckchen Pflaster. Das nahm ich heraus, setzte mich auf einen Küchenstuhl, zog Schuhe und Strümpfe aus und klebte Pflaster auf meine Fersen. Bevor ich die Strümpfe wieder anzog und die Schuhe zuschnürte, klebte ich mir auch Pflaster auf die aufgescheuerten Stellen zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann legte ich das fast leere Pflasterpäckchen zurück in die Schublade und ging wieder zu Berger hinaus.
    »Ach, kommst du doch noch!«, dröhnte er. »Ich hab schon gedacht, du bist in der Schublade stecken geblieben. Hast du was gefunden?«
    Ich hielt die Hände hoch und zeigte ihm die Pflaster zwischen Daumen und Zeigefinger.
    »Ich hab fast alles verbraucht.«
    »Wohl bekomm’s«, brummte Berger.
    Die Enten kamen wieder auf uns zu. Berger reichte mir das Päckchen Knäckebrot. Ich nahm eine Scheibe, zerbröselte sie und streute sie über den Schotter. Die Enten waren blitzartig da und schnappten nach den Krümeln.
    »So, so, sie will ihrem Vater also nicht die Haare schneiden«, sagte Berger. »Na, das ist vielleicht kein Wunder. Ein alter Mitläufer. Gott weiß, was Ellen ihr von mir erzählt hat, was für ein Schuft ich bin.«
    »Ich habe ihr noch nicht gesagt, dass Sie mein Großvater sind«, gestand ich.
    Er beugte sich zu mir vor.
    »Aber das ist ungeheuer wichtig, ist dir das nicht klar? Wenn Anna jemals mit ihrem Vater sprechen will, dann muss sie es jetzt tun.«
    »Ich konnte es noch nicht sagen.«
    Er sah mich verblüfft an.
    »Warum nicht?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Er nahm eine Scheibe aus dem Brotpaket, brach ein Stück ab und warf es auf den Schotter. Die schnellste Ente war sofort da und schnappte es sich.
    »Manchmal kommen auch Schwäne an Land«, sagte er. »Aber jetzt habe ich sie schon lange nicht mehr gesehen. Sie beißen. Die haben scharfe kleine Zähne. Wie die Fische. Wie kommt es, dass du und deine Schwester so selten hier gewesen seid?«
    Er richtete seine Brille und musterte mich.
    »Sie hatten sich verkracht«, sagte ich.
    Er nahm die Brille ab, steckte einen Bügel in den Mund und sog eine Weile daran, setzte die Brille wieder auf und schob das Knäckebrotpaket ein Stück beiseite.
    »Aha, verkracht?«
    Wir schwiegen beide. Die Enten watschelten auf dem Weg hin und her. Es waren lauter Weibchen, fünf Stück. Ich versuchte mir vorzustellen, dass er mein Großvater war, dass er der Vater meiner Mutter war. Es war unmöglich.
    »Warum hast du es ihr nicht gesagt?«, fragte er und schob das Brotpaket noch ein Stück weiter von sich weg.
    »Ich sollte jetzt mal die Hecke schneiden«, sagte ich.
    »Du musst es ihr erzählen. Es ist doch selbstverständlich, dass sie ihren Vater treffen will. Ist sie zu Hause?«
    »Sie ist segeln.«
    Er neigte den Kopf, als denke er über etwas nach.
    »Das Meer«, brummte er. »Konvois, ständig. Aber ich bin durchgekommen. Ich war ein gewöhnlicher Soldat, genau wie mein Vater. Tat, was mir befohlen wurde, ein ganz gewöhnliches kleines Licht. Wir waren eine Nation von Mitläufern. Du bist vielleicht nicht so? Na ja, ich habe mich aus freien Stückenbei der Luftwaffe beworben, aus reiner Freundschaft. Er hieß Felix Kröger. Freundschaft und Liebe führen manchmal auf Abwege, das ist mal sicher.«
    Er unterbrach sich. Auf der anderen Seite der Hecke hämmerte ein Specht im Wald an einem trockenen Ast. Es war ein kleiner schwarzweißer Vogel. Sobald ich ihn entdeckt hatte, bewegte er sich zur Seite, als würde er sich beobachtet fühlen, und ich konnte ihn nur noch hören, aber nicht sehen.
    Dann sprach Berger weiter.
    »Warum haben Anna und Ellen sich verkracht?«
    »Vielleicht, weil Großmutter nicht erzählen wollte, wer Mamas Vater war? Ich habe gehört, wie sie darum gestritten haben. Manchmal haben sie sich auch am Telefon gezankt.«
    Er nickte.
    »Ellen war stur, wirklich sehr eigensinnig. Ach, und deine Mutter ist segeln?«
    »Dalarö«, sagte ich. »Mit einem Petterssonboot.«
    »Ellen war stur«, wiederholte er.
    Dann blitzte es in seinen Augen auf, und er warf mir einen kurzen Blick zu.
    »Bist du womöglich auch stur? Du bist vielleicht auch eigensinnig?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Er schnaubte.
    »So was weiß man doch.«
    Ich stand auf.
    »Ich sollte jetzt wohl mit der Hecke anfangen«, sagte ich. »Damit die mal fertig wird.«
    Er nahm seinen Stock, stützte sich mit einer Hand auf dem Tisch ab und mit der anderen auf dem Stock und kam schwankend auf die Beine. Die Enten gerieten

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