Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
Vom Netzwerk:
Zimmer zu betreten.
    »Ich überlege, wie ich den Scheißkerl umbringen kann.«
    Sie kam herein und setzte sich an das Fußende, den Rücken gegen die Wand gelehnt, und ich zog die Beine an, damit sie Platz hatte. Annie zeigte auf Mamas Laptop.
    »Wozu brauchst du den?«
    »Für einen Film.«
    »Welchen?«
    »Tarzan – the ape man.«
    Sie schaltete den Laptop ein.
    »Warum guckst du dir den an?«
    »Berger hat von Tarzan geredet.«
    Ich zeigte zu der Abseite.
    »Geh da mal rein und zieh die Kommodenschublade auf. Dort liegt ein Fotoalbum.«
    Sie ging zur Abseite. Mit dem aufgeschlagenen Album kehrte sie zurück und setzte sich wieder an das Fußende.
    »Weißt du, wer das ist?«, fragte ich.
    »Keine Ahnung.« Sie blätterte ein bisschen und sah mäßig interessiert aus.
    »Weißt du, wer das ist?«, wiederholte ich.
    Sie legte das Album auf das Bett.
    »Ist es jemand, den ich kenne?«
    »Mama.«
    Sie schlug das Album wieder auf. Jetzt hielt sie es sich näher vor die Augen und studierte das erste Bild. Dann blätterte sie weiter und lachte.
    »Das ist ja wirklich Mama! Man erkennt sie am Mund! Und an den Augen! Da ist sie ja noch ganz klein. Woher hast du das?«
    »Ich habe es in der Kommode gefunden.«
    »Woher weißt du, dass es Mama ist?«
    »Das hat Berger mir erzählt.«
    »Hast du es Mama schon gezeigt?«, fragte Annie.
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    Jetzt hatte ich es sagen wollen. Ich hatte ihr erzählen wollen, dass ich es Mama nicht gezeigt hatte, weil Mamas Vater die Bilder gemacht hatte. Aber aus irgendeinem Grund brachte ich es nicht heraus.
    Annie klappte das Album zu und ließ den Film laufen.
    »Der ist ja schwarz-weiß!«, rief sie. Ihre Stimme klang, als wäre ihr die Zahnbürste in die Kloschüssel gefallen.
    »Er ist von 1932«, sagte ich.
    Sie sah mich an, als zweifle sie an meinem Verstand.
    »Warum guckst du dir den an?«
    »Weil Berger ihn mag.«
    Sie blieb beim Vorspann hängen.
    »Was für ein süßer Löwe!«
    Dreimal schaute sie sich den Löwen an. Er sitzt in einem Rahmen und brüllt. Dann ließ sie den Film weiterlaufen.
    »Guck mal, wie der schwimmt«, sagte ich. »Weissmüller. Und guck mal, was für eine hübsche Frisur Maureen hat.«
    »Ja, sehr hübsch«, sagte Annie.
    Dann spulte sie zurück zu dem Löwen im Vorspann und lachte.
    »Ein wunderbarer Löwe!«
    »Guck dir Weissmüller an«, sagte ich. »Im Wasser der schnellste Mann der Welt. Das ist natürlich schon lange her, aber trotzdem.«
    »Der Löwe ist das Beste am Film, gibt es noch mehr Löwen?«
    »Massenhaft«, antwortete ich, und sie suchte die Stelle, wo eine Löwin Tarzan auffressen will. Annie lachte.
    »Da ist was mit Mama«, sagte ich.
    »Was?«
    Ich wollte es ihr erzählen, aber ich konnte es nicht. Ich überlegte, wie ich es ausdrücken sollte. »Er ist unser Großvater, unser Nachbar ist unser Großvater.« Oder: »Ich habe etwas herausgefunden! Unser Nachbar ist unser Großvater!« Oder: »Großmutter war wie Mama. Sie ist mit jedem ins Bett gegangen.«
    Annie beugte sich zu mir vor und legte mir eine Hand auf die Stirn.
    »Geht es dir gut? Bist du krank?«
    »Nein.«
    Sie kaute an einem Nagel, merkte es aber und zog den Finger aus dem Mund.
    »Geht es um Dick?«
    »Nein.«
    »Ich seh doch, dass was ist. Was ist also los?«
    »Es geht um Mama.«
    »Irgendwas mit Mama und Dick?«
    »Ja.« Ich tat so, als wollte ich noch etwas sagen.
    »Was ist mit Dick?«
    »Dass sie schon am ersten Tag einen Liebhaber aufreißt! Findest du nicht auch, dass sie verdammt männergeil ist?«
    Annie zog eine Haarsträhne zum Mund und biss darauf herum.
    »Weißt du schon, wie du dich hier in der Schule verhalten willst? Hoffentlich nicht genauso wie in Sundsvall?«
    »Hab ich noch nicht drüber nachgedacht.«
    »Mama hat sich im Frühling große Sorgen gemacht.«
    »Das ist ihr Problem.«
    »Wenn du etwas öfter hingehen würdest, hättest du in allen Fächern die besten Noten.«
    »Die krieg ich sowieso.«
    Annie kaute auf der Haarsträhne.
    »Kannst du unserem Nachbarn die Haare schneiden?«, fragte ich.
    Annie ließ die Strähne los.
    »Möchte er das?«
    »Er braucht dringend einen Haarschnitt und fragt dauernd nach Mama. Aber sie mag ihn nicht. Ich dachte, wenn du es machst, hört er auf, mich zu nerven. Er hat gut fürs Rasenmähen bezahlt.«
    Annie strich sich die Haare mit beiden Händen zurück und band sie mit einem rosa Band, das sie am Handgelenk getragen hatte, zu einem Pferdeschwanz zusammen.
    »Ich finde, du sollst mit

Weitere Kostenlose Bücher