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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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an.
    »Was machst du gerade?«, fragte sie.
    »Wir waren im Vesuvio. Hab William zusammen mit einem Muskelprotz gesehen, war wohl sein Bruder.«
    »Was hast du gegessen?«
    Ich erzählte es ihr.
    »Ich kriege Albträume von dem Film«, sagte Nadja.
    »Morgan will eine Party machen«, sagte ich. »Er glaubt, dass du auch kommst.«
    »Vielleicht«, sagte Nadja.
    Dann schwiegen wir eine Weile.
    »Ist es wahr, dass du in der Siebten eine Abtreibung gehabt hast?«
    »Nein.«
    »Warum erzählen die so was?«
    »Madeleine hatte eine. Sie war im Mai eine Woche zu Hause. Alle glauben, dass sie eine Abtreibung hatte. Sie ist mit einem zusammen, der Veteranenautos fährt.«
    »Bist du nicht sauer, wenn sie Lügengeschichten über dich verbreiten?«
    »Klar bin ich das, aber was soll ich dagegen unternehmen? Was machst du jetzt?«
    »Mein Lieblingsbuch lesen.«
    »Handelt wovon?«
    »Von einem Jungen, der es so einrichtet, dass alle glauben, er sei tot. Dann legt er sich auf den Boden eines Kanus und lässt sich den Fluss hinuntertreiben. Er liegt da und raucht und schaut in die Sterne. Das passiert im siebten Kapitel, mein Lieblingskapitel. Ich habe es schon hundertmal gelesen. Später findet er einen toten Mann. Erst am Ende erfährt er, dass der Tote sein Vater war.«
    »Wie heißt es?«, fragte Nadja.
    »Ist deine Mutter zu Hause?«, fragte ich.
    »Sie hat Nachtschicht. Kannst du mir nicht sagen, wie es heißt? Oder mir wenigstens einen Hinweis geben?«
    »Darf ich dich was fragen?«
    »Was?«
    »In meinem Zimmer hängt ein Bild an der Wand von einem, der sich ein Ohr abgeschnitten hat. Findest du das komisch?«
    Sie schwieg eine Weile. Im Hintergrund fuhr ein Zug vorbei. Wahrscheinlich stand bei ihr das Fenster offen.
    »Bist du noch da?«, fragte ich.
    »Ich werde drüber nachdenken«, sagte sie. »Jetzt muss ich auflegen.«

    24

    Als ich das Vorderrad im Fahrradständer angeschlossen hatte, stand William plötzlich neben mir.
    »Hallo«, sagte er. »Was hast du gegessen?«
    »Vesuvio. Und du?«
    »Vegetarisch. Brauchst du Bücher über den Zweiten Weltkrieg?«
    »Hab schon einen Haufen.«
    »Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst. Mein Bruder hat eine ganze Bibliothek. Besonders über die SS. Wie gefällt dir die Klasse?«
    Wir waren auf dem Weg in die Halle. Bevor wir sie erreichten, begegneten wir dem Direktor. Er stand an der Tür und begrüßte jeden. Uns nickte er zu. Wir nickten zurück. Der Direktor trug ein T-Shirt mit der Aufschrift »Respekt« auf der Brust.
    »Weiß noch nicht.«
    William machte eine Handbewegung.
    »Du brauchst dich nur umzusehen, um zu kapieren, was mit dieser Schule los ist.«
    Und er zeigte auf Leila, die vor einem Schrank mit drei anderen Mädchen zusammenstand. Alle drei trugen ein Kopftuch.
    »Ich wechsle Weihnachten«, fuhr William fort. »Dann wird eine neue Schule mit christlich-humanistischen Werten geöffnet. Da bleibt einem der Anblick von diesen Typen erspart, die das Christentum nicht mögen. Melde dich, wenn du etwas über die SS wissen möchtest. Mein Bruder hat alles.«
    Dann reckte er die Faust zum Gruß und verschwand zwischen den Schrankreihen.

    In der ersten Stunde hatten wir Englisch. Nadja war nicht da, Marc, Ludde und Tubal auch nicht. Malin und Jessica kamen zehn Minuten zu spät, genau wie Herr Nilsson. Nilsson ist derLange, dem ich vor dem Lehrerzimmer begegnet war, ehe ich mich zum Deutschunterricht anmeldete. Er hatte eine Kiste mit Büchern dabei, stellte sie auf dem Katheder ab und sah sich um. Selbst von meinem Platz aus war zu erkennen, dass ihm lange Haare aus den Nasenlöchern wuchsen, wie gekrümmte Nägel ragten sie heraus, fast bis auf seine Oberlippe.
    »Alter Bekannter«, murmelte er und nickte in meine Richtung. »Tom, nicht wahr?«
    An meiner Antwort schien er nicht interessiert zu sein. Vielleicht wusste er, dass ich niemand anderer als Tom sein konnte. Dann zeigte er auf Madeleine, und sie holte die Bücherkiste vom Katheder und ging damit herum. Alle nahmen sich ein Buch.
    Patrik saß neben mir über ein liniertes Blatt gebeugt und zeichnete mit dem Bleistift einen Jungen. Neben dem Mund des Jungen war eine leere Sprechblase. Patrik schob mir das Blatt zu und gab mir den Stift.
    »Schreib was rein«, bat er.
    Ich schrieb in großen Buchstaben mitten in die Blase »THEY ARE ALL GOING TO DIE«.
    Patrik lachte.
    Dann bekam ich das Buch. Es war eine Geschichte über Sherlock Holmes. »The Speckled Band«.
    Nilssons Handy klingelte. Ich schlug das kleine

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