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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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sich vor. Er roch nach Schweiß.
    »Wie geht es der Nase?«
    »Nicht so schlimm.«
    »Tubal musste genäht werden.«
    »So kann’s gehen.«
    Der Direktor zog die Augenbrauen hoch. Er hatte buschige, leicht angegraute Brauen.
    »Du bist ein kluger Junge, habe ich gemerkt. Der Einzige in der Klasse, der alle diagnostischen Matheaufgaben fehlerlos gelöst hat. Gefällt es dir in der Schule?«
    »Geht so.«
    »Da oben im Norden in Luleå …«
    »Sundsvall.«
    »Ach ja, in Sundsvall, wie war es dort?«
    »Wie üblich.«
    »Hat es dir dort gefallen?«
    »Es war ganz okay.«
    Der Direktor lehnte sich zurück. Das Fenster stand offen. Ein Windhauch strich herein. Die Gardine mit schokoladenbraunenVierecken auf beigefarbenem Grund bewegte sich kaum merklich. Auf dem Schulhof rief ein Mädchen nach jemandem, der Janne hieß.
    »Ich habe dich heute Morgen mit William zusammen gesehen«, sagte der Direktor.
    »Ich weiß.«
    »Seid ihr Freunde?«
    »Gehen in dieselbe Klasse.«
    »Und du hast dich für den Deutschunterricht entschieden.«
    »Ja.«
    »Warum?«
    Die Frage kam schnell, als sei sie besonders wichtig.
    »Mein Großvater ist Deutscher.«
    »Aber du sprichst kein Deutsch?«
    »Nein.«
    »Man sollte meinen, dass du Deutsch sprichst«, sagte der Direktor. »Wenn du doch einen deutschen Großvater hast.«
    »Wir haben uns nicht häufig getroffen.«
    »Aber in Sundsvall hast du Spanisch gelernt, oder?«
    »Ja.«
    »Warum also willst du jetzt Deutsch lernen? Dein Großvater war auch im letzten Jahr dein Großvater.«
    Ich nahm den Zettel aus der Tasche und reichte ihn dem Direktor. Er starrte darauf, runzelte die Stirn und las mit leiser Stimme, etwas zögernd. Er schien nicht besonders gut Deutsch zu können.
    »Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.«
    Der Direktor sah aus, als hätte er nichts verstanden.
    »Was soll das?« Er gab mir den Zettel zurück, den ich wieder in die Tasche steckte.
    »Das sagt mein Großvater häufig«, log ich. »Jetzt im Alter spricht er auch mehr Deutsch. Ich möchte verstehen, was er sagt.«
    Der Direktor stand auf, ging zum Fenster und schob es ein Stück auf. Er blieb am Fenster stehen und schaute hinaus. Vielleicht gab es etwas auf dem Schulhof, was er beobachten wollte.
    »Du hast eine Spezialaufgabe in Gesellschaftskunde, nicht wahr?«, fuhr er fort, ohne sich umzudrehen.
    »Ja.«
    »Über welches Thema?«
    »Deutschland im Zweiten Weltkrieg.«
    »Dein Großvater ist Deutscher.«
    Er schwieg eine Weile, dann kam er zurück zum Sofa und setzte sich mir gegenüber. Der Geruch verriet, was er am Fenster getan hatte.
    »Worüber unterhältst du dich denn so mit William?«
    »Heute Morgen hat er mir angeboten, mir Bücher über den Zweiten Weltkrieg zu leihen. Sein Bruder scheint eine Menge zu besitzen.«
    Der Direktor beugte sich vor.
    »Was sollen das für Bücher sein?«
    »Keine Ahnung. Hab sie nicht gesehen.«
    »Kennst du Rickard?«
    »Welchen Rickard?«
    »Williams Bruder.«
    »Nein.«
    Der Direktor dachte über meine Antwort nach. Dann seufzte er.
    »Warum hast du Tubal angegriffen?«
    »Er hat mich zuerst angegriffen.«
    »Davon habe ich nichts gehört.«
    »Was haben Sie denn gehört?«
    »Dass du etwas zu Tubal gesagt hast, er ist weggegangen, du bist ihm nachgelaufen und hast ihn von hinten angesprungen, sodass er fiel. Marc hat versucht, dich zurückzuhalten. William hat hinter dir gestanden und dich angefeuert, ihn nochstärker zu treten, was du nach Aussagen der anderen auch getan hast.«
    Ich hatte das Gefühl, als könnte ich nicht mehr denken.
    »Das stimmt nicht«, sagte ich.
    »So ist es mir jedenfalls berichtet worden«, sagte der Direktor.
    Mein Mund war wie zugeklebt. Das Schlimmste war, dass ich das Gefühl hatte, ich würde anfangen zu weinen.
    »Wir haben ein Problem gehabt«, fuhr der Direktor fort, »mit fremdenfeindlichen Kräften. Ich hoffe, dass du nicht auch so einer bist.«
    »So einer?«
    »Einer, der fremdenfeindlich ist und Ärger macht.«
    »Ich bin nicht fremdenfeindlich«, sagte ich.
    »Du hast Tubal angegriffen.«
    »Ich habe ihn gefragt, warum er Patrik in den Nacken geschlagen hat.«
    »Du meinst Ninne?«, sagte der Direktor.
    »Er heißt Patrik.«
    »Genau«, sagte der Direktor. »Ist er dein Freund?«
    »Er ist in meiner Arbeitsgruppe, die sich mit Deutschland im Zweiten Weltkrieg befasst.«
    »Wer ist noch darin?«
    »Sonst niemand.«
    »Nur du und Ninne?«
    Der Direktor sah aus, als würde er überlegen, wie lange es noch bis zu den

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