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Du oder das ganze Leben

Titel: Du oder das ganze Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Elkeles
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»Es tut mir leid, aber Colin muss mich jetzt nach Hause bringen.«
    Mr Wallace und Mr Lundstrom schütteln Colin die Hand, dann zerre ich ihn aus dem Stadion.
    »Brit, weißt du, wie schwer es ist, einen Praktikumsplatz bei HL&W zu bekommen?«
    »Ehrlich gesagt, ist mir das im Moment völlig egal, Colin. Ich sollte um zehn Uhr dreißig zu Hause sein.«
    »Dann bist du eben um elf zu Hause. Sag deiner Mom, wir standen im Stau.«
    Colin weiß nicht, wie meine Mom drauf ist, wenn sie eine ihrer Launen hat. Glücklicherweise habe ich es bisher vermeiden können, ihn allzu oft mit zu mir zu nehmen und, wenn er
vorbeikommt, dann nur für ein paar Minuten oder weniger. Er hat keinen Schimmer, wie es ist, wenn meine Mom mich in der Luft zerreißt.
    Wir biegen nicht um elf in die Auffahrt, sondern vielmehr um elf Uhr dreißig. Colin ist immer noch aus dem Häuschen, dass er vielleicht einen Praktikumsplatz bei HL&W bekommt, und hört sich die Zusammenfassung des Spiels im Radio an.
    »Ich muss los«, sage ich und lehne mich für einen schnellen Kuss zu ihm rüber.
    »Bleib noch ein paar Minuten«, sagt er an meinen Lippen. »Wir haben schon ewig nicht mehr rumgemacht. Ich vermisse es.«
    »Ich auch. Aber es ist spät.« Ich werfe ihm einen entschuldigenden Blick zu. »Wir werden noch mehr Nächte zusammen haben.«
    »Hoffentlich früher als später.«
    Ich gehe ins Haus und wappne mich dagegen, angeschrien zu werden. Wie vermutet steht meine Mutter mit vor der Brust verschränkten Armen im Eingangsbereich. »Du kommst zu spät.«
    »Ich weiß. Es tut mir leid.«
    »Was glaubst du? Dass ich die Regeln nur zum Spaß aufstelle?«
    »Nein.«
    Sie seufzt.
    »Mom, es tut mir wirklich leid. Wir sind zu einem Spiel der Cubs gegangen, statt ins Kino und es war schrecklich viel Verkehr.«
    »Ihr wart bei den Cubs? Den ganzen Weg bis in die Stadt? Du hättest ausgeraubt werden können!«
    »Uns ist nichts passiert, Mom.«
    »Du meinst, du weißt alles, Brit, aber das tust du nicht. Ich
dagegen weiß, dass du jetzt tot in irgendeiner Gasse liegen könntest, während ich davon ausgegangen bin, dass du im Kino bist. Sieh in deiner Handtasche nach, ob dein Geld oder dein Pass weg ist.«
    Ich öffne die Handtasche und überprüfe den Inhalt meines Portemonnaies, nur um sie zu besänftigen. Ausweis und Geld hochhaltend sage ich: »Es ist noch alles da.«
    »Dieses Mal. Du hast noch mal Glück gehabt.«
    »Ich bin immer vorsichtig, wenn ich in die Stadt gehe, Mom. Außerdem war Colin doch dabei.«
    »Komm mir nicht mit Entschuldigungen, Brit. Meinst du nicht, es wäre angemessen gewesen, mich anzurufen und mir von der Planänderung und eurer Verspätung zu erzählen?«
    Nur damit sie mich erst am Telefon anschreien kann und dann noch mal, wenn ich nach Hause komme? Niemals. Aber das kann ich ihr nicht sagen. »Ich habe nicht darüber nachgedacht«, ist alles, was ich herausbringe.
    »Denkst du jemals an diese Familie? Es dreht sich nicht alles nur um dich, Brittany.«
    »Das weiß ich, Mom. Ich verspreche, dich nächstes Mal anzurufen. Ich bin müde. Darf ich jetzt bitte ins Bett gehen?«
    Sie entlässt mich mit einer ungeduldig-winkenden Handbewegung.
     
    Am Samstagmorgen weckt mich das Geschrei meiner Mutter. Ich schlage die Bettdecke zurück, springe aus dem Bett und renne die Treppe hinunter, um zu sehen, was dieser Aufruhr zu bedeuten hat.
    Shelley sitzt in ihrem Rollstuhl, der an den Küchentisch geschoben wurde. Das Essen ist um ihren ganzen Mund verschmiert und überall auf ihrem T-Shirt und ihrer Hose verteilt. Sie sieht aus wie ein Kleinkind, nicht wie eine Zwanzigjährige.

    »Shelley, wenn du das noch mal machst, gehst du in dein Zimmer!«, brüllt meine Mutter. Dann stellt sie eine Schüssel püriertes Essen vor sie auf den Tisch. Shelley fegt sie zu Boden. Meine Mom schnappt nach Luft. Ihre Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen, als sie Shelley ansieht.
    »Ich regle das«, sage ich und haste zu meiner Schwester.
    Meine Mutter hat meine Schwester noch nie geschlagen. Aber wenn sie ihrer Frustration freien Lauf lässt, tut das genauso weh. »Behandle sie nicht wie ein Kleinkind, Brittany«, sagt Mom. »Wenn sie nicht essen will, wird sie bald künstlich ernährt werden. Willst du das etwa?«
    Ich hasse es, wenn sie das tut. Sie malt das schlimmstmögliche Szenario an die Wand, anstatt in Ordnung zu bringen, was gerade verkehrt läuft. Als meine Schwester mich ansieht, entdecke ich den gleichen Frust in ihren Augen.
    Meine Mom

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