Du oder die grosse Liebe
vage auf die Gegend um seinen Schritt. »Offenbar war der Anblick nicht sehr eindrucksvoll.«
Aber das war er. Ich habe diese Momentaufnahme von ihm in seiner ganzen Pracht, ohne dass seine Nacktheit ihn verunsichert hätte oder ihm peinlich gewesen wäre, vor meinem inneren Augen immer wieder abgespult. Ich hasse mich dafür, dass ich mich an ihn und an alles, was er in dieser Nacht zu mir gesagt hat, bis ins kleinste Detail erinnere.
Der Ansatz eines selbstgefälligen Grinsens zupft an seinen Lippen, weil er es weiß. Er weiß, dass ich mich an diesen Moment genauso deutlich erinnere, wie er es tut.
Luis springt auf seinen ursprünglichen Platz zurück, als Mr Harris zurück in den Raum kommt.
»Übrigens«, flüstert Luis mir zu, »hast du Nummer drei und sieben falsch.«
Ich gucke auf mein Mathebuch runter. »Woher willst du das wissen?«
Er klopft sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Ich bin so was wie ein Mathegenie. Bei beiden Aufgaben hast du vergessen, auf der linken Seite die Kettenregel anzuwenden, da y eine Funktion von x ist.«
Ich sehe mir mein Blatt an. Nachdem ich eine Minute lang meine Rechenschritte nachvollzogen habe, stelle ich fest, dass er recht hat. Ich gucke perplex zu ihm hoch, aber er hat mir wieder den Rücken zugekehrt, und Mr Harris lässt den Blick durch den Raum schweifen, um sicherzustellen, dass wir keinen Ton von uns geben.
Nach einer Stunde verkündet Mr Harris, dass wir die Bedingungen für das Nachsitzen erfüllt haben und gehen dürfen. Justin verlässt als Erster den Raum. Er sieht Luis herausfordernd an, als er an ihm vorbeikommt. Luis tut entweder so, als bemerke er es nicht, oder es ist ihm egal.
Ich marschiere aus dem Raum. Luis geht neben mir her. »Sieht aus, als könntest du einen Mathenachhilfelehrer gebrauchen.«
»Ich gebe mich nicht mit Southsidern ab«, erkläre ich ihm, ohne stehen zu bleiben, als ich die Eingangstüren der Schule aufstoße und nach draußen in die brütende Sommerhitze trete. »Und ich gehe auch nicht mit ihnen aus.«
»Du gehst nicht mit Southsidern aus?«, fragt er.
»Tu ich nicht. Nicht mehr.«
»Ich will mich nicht mit dir abgeben oder mit dir ausgehen, Nikki.« Er wirft mir ein umwerfendes Lächeln zu, das er wahrscheinlich zu Hause vor dem Spiegel geübt hat, bis es perfekt saß. »Aber ich schätze, ich hätte nichts dagegen, ein bisschen Spaß mit dir zu haben. Wann immer du bereit dazu bist, lass es mich wissen.«
13
Luis
Die erste Schulwoche überlebt zu haben, heißt, dass man die Wochenenden wieder zu schätzen weiß und die Tatsache, endlich mal ausschlafen zu können, ebenso. Außer, dein kleiner Neffe kommt ins Zimmer getrottet, während du noch schläfst, und verwechselt deinen Kopf mit einer Trommel.
»Hey, muchacho !«, sage ich, hebe ihn hoch und setze ihn mir auf die Brust. »Falls deine Windel undicht ist, fliegst du pronto wieder raus.«
Er wirft mir ein Grinsen zu, das seine kleinen Zähne aufblitzen lässt.
Jetzt wo er fast zwei ist, wird es Zeit, dass Paco lernt, meinen Namen richtig auszusprechen. »Sag Luis «, befehle ich ihm.
»Iiis«, sagt er.
»Nicht ganz, aber wir arbeiten dran.«
»Iiis«, sagt er wieder und wird richtig aufgedreht. Er hüpft auf mir auf und ab, als sei ich sein Pferd. »Iiis, Iiis, Iiis!«
Brittany steckt ihren Kopf zur offenen Tür hinein. »Paco, nervst du tío Luis?«, fragt sie.
»Nö«, versichere ich ihr. »Alles bestens.«
Nachdem ich ihn eine Weile bespaßt habe, nehme ich Paco mit ins Wohnzimmer, wo Alex und Brittany sich mit mi’amá unterhalten.
»Hallo Brüderchen«, sagt Alex. Dann zeigt er auf meine Boxershorts, die in allen möglichen Farben kreuz und quer mit dem Wort Colorado bedruckt sind. Meine Freunde haben sie mir geschenkt, bevor wir umgezogen sind. »Nette Unterwäsche.«
»Danke.« Ich setze mir meinen Neffen auf die Schultern, was ihn überglücklich macht. »Ich habe Peterson in Chemie. Habt ihr Mitleid mit mir?«
Brittany und mein Bruder grinsen sich an.
»Auf jeden Fall. Sie ist knallhart«, sagt Alex. »Brit, hat sie uns nicht ständig nachsitzen lassen?«
»Ich habe versucht, diese Zeiten zu verdrängen.« Brittany schüttelt sich. »Damals habe ich dich echt gehasst, Alex.«
Er streicht mit dem Handrücken sanft über ihren Arm. »Von wegen, chica . Du wolltest mich, du hattest nur Angst, es zuzugeben.«
Brittany beißt sich auf die Unterlippe, ihr Blick verschmilzt mit Alex’. Er umfängt ihr Gesicht mit beiden Händen und zieht
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