Du oder die grosse Liebe
sie an sich, dann küsst er sie.
Ich lasse meinen Neffen von meinen Schultern gleiten und halte ihm die Augen zu. »Mal ehrlich, Leute, solltet ihr die Flitterwochenphase nicht längst hinter euch haben? Ihr bekommt demnächst euer zweites Kind!«
»Ich möchte diese Phase niemals hinter mir lassen«, sagt mein Bruder.
»Ich auch nicht«, gurrt Brittany.
Mi’amá wackelt mit dem Finger in meine Richtung. »Komm bloß nicht auf dumme Gedanken, Luis. Behalte einen klaren Kopf und verlier dein Ziel nicht aus den Augen.« Sie streckt die Arme aus, damit ich ihr Paco reiche, und nimmt ihn mit in die Küche.
»Ich habe die Bude fast nicht wiedererkannt«, meint Alex, dessen Blick über die Möbel und die Dielenbretter wandert.
»Die Wohnung sieht toll aus«, sagt Brittany zustimmend. »Und die Nachbarschaft hat sich auch komplett verändert.«
»Wem sagst du das«, erzähle ich ihnen. »Nebenan wohnt jetzt ein Cop.«
Alex schüttelt verblüfft den Kopf. »Ein Cop?«
»Hm. Und zufällig ist er auch noch unser Vermieter.« Ich lasse unter den Tisch fallen, dass ich glaube, der Typ macht sich außerdem an Mi’amá ran.«
Alex horcht auf, sein Interesse ist geweckt. »Euer Vermieter ist ein Cop?«
»Ich glaube, dem Typen ist nicht klar, dass dieser Teil der Stadt erbärmlich arm ist. Ich habe den Eindruck, er malt sich aus, die Southside von Fairfield wird das neue Wrigleyville.« Wrigleyville ist das teure Yuppie-Viertel, in dem das Wrigley Field liegt, die Heimat der Chicago Cubs Baseballmannschaft. Wrigleyville ist kein bisschen wie Fairfield, selbst wenn Officer Reyes das nur zu gern glauben möchte.
» La policía wohnt auf der Southside von Fairfield«, murmelt Alex fast zu sich selbst. »Ich bin nur froh, dass er noch nicht hier gelebt hat, als ich in der Highschool war. Ich habe mich nämlich nicht so brav an die Regeln gehalten wie du, Luis.«
Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß. Ich frage mich, welche Regeln ich heute Abend versucht sein werde zu brechen, wenn ich nach der Arbeit mit Marco, Mariana und ihren Freunden losziehe.
»Möchtest du nach dem Frühstück mit uns in den Brookfield Zoo kommen?«, fragt Brittany. »Paco flippt jedes Mal aus, wenn wir mit ihm durch das Fledermaushaus gehen.«
Ich lache. »Obwohl ich liebend gerne mit euch durch den Zoo schlendern würde, Leute, muss ich passen, weil meine Hausaufgaben auf mich warten. Außerdem arbeite ich heute von drei bis zehn Uhr abends.«
Mein Bruder hebt eine Augenbraue. »Du hast den Job beim Brickstone Club gekriegt?«
»Vor dir steht das neueste Mädchen für alles, Alex.«
»Mädchen für alles?« Meine Schwägerin schüttelt den Kopf. »Ich finde, du solltest ablehnen. Du hast unglaublich Köpfchen und bist total sportlich, Luis. Sie hätten dich als Rettungsschwimmer einsetzen können oder am Empfang. Gib dich nicht damit zufrieden.«
»Es ist Geld«, antworte ich achselzuckend.
»Es ist unter deiner Würde«, erwidert sie wie aus der Pistole geschossen.
Ich zucke noch einmal mit den Achseln. Brittany ist als reiches weißes Mädchen aufgewachsen und hat keinen Schimmer, wie es ist, arm zu sein. Oder Mexikaner. Ich weiß, dass wir das Geld brauchen, und sie zahlen dort gut. Was macht es schon, wenn ich Wassergläser auffüllen und das dreckige Geschirr der Gäste abräumen werde? Das ist keine große Sache. Mexikaner sind bekannt dafür, die Jobs zu machen, für die sich die weißen Leute zu schade sind. Ich habe damit kein Problem. Und ich weiß, dass ich meinen Job so gut machen werde, dass ich in einem Monat zum Kellner befördert werde.
Alex und Brittany verabschieden sich nach dem Frühstück mit Paco. Ich bekomme ein paar SMS von Marco, der mich fragt, ob ich vor der Arbeit was mit ihm und ein paar anderen Typen mache. Aber das muss bis später warten. Es kommt nicht infrage, dass meine Noten absacken. Denn dann kann ich das Raumfahrtprogramm vergessen.
Nachdem ich für die Matheklausur nächste Woche und den Geschichtstest gebüffelt habe, gehe ich zur Arbeit. Es ist immer noch angenehm draußen, aber ich weiß, das wird nicht lange anhalten. In Illinois ist der Frühling nur der Auftakt vor einem glühend heißen Sommer. Irgendwann schlägt der Herbst mit aller Macht zu. Aber was einen wirklich in die Knie zwingt, ist die eisige Winterkälte mit Windböen, die einem ins Gesicht peitschen und den Wunsch in einem wecken, irgendwo zu leben, wo sie das Wort Schnee noch nie gehört haben. Schnee in Chicago ist
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