Du sollst nicht hassen
Nachnamen trug und Hebräisch mit einem Akzent sprach, schien niemand Einwände gegen mein Hiersein zu haben. Krankheiten kennen keine Grenzen. Aber ich muss zugeben, dass Politik und Vorurteile die Dinge doch beeinflussen. Ich wollte im Krankenhaus nur meinen Job machen und die Politik am Checkpoint zurücklassen, aber sie folgte mir bis in die Notaufnahme.
Ich war zum Beispiel einmal in der Notaufnahme der gynäkologischen Abteilung, als eine völlig verzweifelte Frau ankam. Sie war im frühen Stadium der Schwangerschaft und hatte Blutungen. Ich untersuchte sie, machte einen Ultraschall, stellte fest, dass die Schwangerschaft fortbestand, aber dass sie von einer Fehlgeburt bedroht war. Die einzig mögliche Behandlung war Bettruhe. Ich sagte ihr, es gäbe eine Fünfzig-Fünfzig-Chance für die Schwangerschaft. Sie verließ das Krankenhaus, kehrte aber um Mitternacht zurück; die Blutungen waren schlimmer geworden. Dieses Mal fing ihr Ehemann, ein sephardischer Jude aus Marokko, an, mich anzuschreien, ich würde das Baby töten. Er drohte, mit mir dasselbe zu tun. Ich war damit beschäftigt, mich um die Patientin – seine Frau – zu kümmern. Er bedrohte mich weiter, bis die Krankenschwester nach dem Sicherheitspersonal rief. Dieser Mann hätte einen israelischen Arzt nicht so behandelt. Er gab mir die Schuld für den Zustand seiner Frau, weil er mich als Araber sah. Er beschwerte sich beim Leiter des Krankenhauses, der den Mann mit in sein Büro nahm, auf die Regale voller medizinischer Fachbücher zeigte und sagte: »Was Dr. Abuelaish gemacht hat, entspricht den Lehrbüchern.« Er stand voll und ganz hinter mir, und der Mann beruhigte sich.
Damals leistete ich als inoffizieller Botschafter für den Frieden in der Region mit aller Kraft meinen Beitrag für die Koexistenz: Ich brachte ein Wochenende im Monat ganze Gruppen von Israelis bei mir oder bei meinen Freunden unter. Wir unternahmen Touren durch das Jabaliya-Camp und Gaza-Stadt, ließen sie das beengte Leben der Palästinenser kennenlernen und nahmen uns dabei viel Zeit, sodass sie mit den Menschen sprechen, ihnen Fragen stellen und ihre eigenen Schlüsse ziehen konnten. Dann tranken wir gemeinsam Kaffee und aßen Süßes dazu, alle gemeinsam, Israelis und Palästinenser. Wir diskutierten und stritten miteinander. Diese Zusammenkünfte brachten mir nahe, wie ähnlich wir uns in Gesellschaft sind. Wir sind expressiv, wir sprechen laut, und die Dezibelstärke steigt mit der Intensität der Unterhaltung. Je interessanter es wird, desto lauter werden wir. So sind wir, Palästinenser wie Israelis. Und noch die lautstärksten Auseinandersetzungen unserer Treffen endeten mit dem Austausch von Telefonnummern und neuen Freundschaften. Dann war es plötzlich vorbei.
Im September 2000 begann die Zweite Intifada, als eine Reihe entfesselnder Ereignisse sich wie zu einem Sturm vereinigten. Ariel Sharon besuchte den Tempelberg, das drittwichtigste Heiligtum der islamischen Welt, als wollte er demonstrieren: »Versucht nicht, mich aufzuhalten!« Die Gespräche beim Friedensgipfel von Camp David im Juli waren gescheitert; bei tätlichen Angriffen von beiden Seiten kamen Menschen ums Leben. Dann begannen das Steinewerfen, das Bombenzünden und die Tränengaseinsätze. Unruhen folgten. Die Grenze wurde geschlossen, und meinem kleinen Grüppchen von Peacemakern war es nicht länger gestattet, sich zu treffen.
Ich fuhr für einen Tag in der Woche mit der Arbeit in meiner eigenen Klinik in Gaza fort, wo ich umsonst behandelte. Aber auch ich konnte während der ersten paar Wochen nicht nach Israel hinüber und die geschätzten 100000 anderen Gazabewohner, die Jobs in Israel hatten, konnten auch nicht arbeiten gehen. Es fühlte sich an, als sollten wir in unserer Existenz vernichtet werden. Keine Jobs und kein Geld bedeuten nichts zu essen und nichts zu kaufen. Auch wenn es später noch viel schlimmer werden sollte, sahen die Palästinenser keine Zukunft mehr für sich. Sie empfanden ihr Leben als nutzlos. Wenn dann einer durchdreht und zum Selbstmordattentäter wird, hält niemand in seiner Umgebung ihn mehr davon ab. Stattdessen wird er zum Helden.
Ich wollte zurück nach Israel, um zu arbeiten. Im Interesse meiner eigenen Sicherheit beriet ich mit vielen palästinensischen Freunden, ob ich gehen sollte oder nicht. Ich wollte wissen, ob es ethisch noch vertretbar sei. Die meisten sagten: »Izzeldin, geh an deine Arbeit. Es ist für dich, für uns und zum Wohl der
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