Du sollst nicht hassen
konnte mich fünf lange Stunden nicht hinsetzen, während ich die Nacht durch wartete. Schließlich wurde die Tür des Gebäudes geöffnet. Ich ging hinein, meine Papiere wurden bearbeitet, und Minuten später war ich wieder draußen. Ich hatte die Grenze von Jordanien nach Israel überquert und war einen Schritt näher bei Nadia.
Doch jetzt wurde meine Reise endgültig zu einem Höllentrip, den ich in meinen Albträumen wieder und wieder durchlebe. Ich war der Erste in der Schlange am israelischen Sicherheitscheckpoint. Ich legte meinen Pass und meinen Ausweis vor, man hieß mich warten. Um neun Uhr wartete ich immer noch. Ich wartete und wartete. Es wurde ein Uhr mittags. Andere Leute waren in der Zwischenzeit gekommen, abgefertigt worden und weitergegangen. Ich flehte das Personal an, mir zu sagen, was der Grund für die Verzögerung sei. Ich sagte ihnen, ich sei Arzt, angestellt in Israel, erklärte, dass meine Frau akut erkrankt sei, vielleicht im Sterben läge, dass ich über vierundzwanzig Stunden unterwegs sei und dringend ins Sheba-Krankenhaus müsste. Die Antwort hieß: »Sie müssen warten.«
Ich telefonierte stündlich mit der Schwägerin meiner Frau, die ständig fragte. »Wo bist du? Warum bist du nicht hier? Beeil dich, beeil dich!« Um zwei Uhr fing ich in meiner Verzweiflung an, Freunde anzurufen und zu fragen, ob sie mir irgendwie helfen könnten.
Schließlich wurde ich zum Schalter gerufen, wo man mir sagte, dass mich ein Beamter des nationalen israelischen Sicherheitsdienstes sehen wolle. Er fragte mich hundert Dinge, sogar nach meiner Frau. Dann sagte auch er mir, ich solle warten. Um sechs Uhr abends, zehneinhalb Stunden nachdem ich das erste Mal vor seinem Schreibtisch gestanden hatte, gab er mir meinen Pass und sagte, ich könne gehen.
Der arabisch-israelische Taxifahrer hatte die ganze Zeit auf mich gewartet, und ich bat ihn, mich so schnell wie möglich zum Sheba-Krankenhaus zu bringen. Er nahm die Route mit den wenigsten Checkpoints. Als wir in den Randbezirken Jerusalems den ersten Checkpoint erreichten, sagte der Grenzer: »Was wollen Sie hier? Der ist nur für Israelis.« Ich erklärte, dass ich eine Genehmigung habe, dass ich Arzt sei, der im Sheba Medical Center in Tel Aviv arbeite, dass meine Frau dort Patientin und schwer krank sei und dass ich schnell zu ihr wolle. Er tat so, als sei ich ein Selbstmordattentäter, verlangte, dass ich mein Handy ausmache, rief die Polizei und sagte, er hätte einen Palästinenser aus Gaza gefasst, der versucht hätte, die Grenze zu übertreten. Er bestand darauf, dass ich ein Formular ausfüllte, womit ich bestätigte, dass ich verstanden hatte, warum ich verhaftet wurde. Doch der Anruf eines israelischen Sicherheitsbeamten wies ihn an, mich gehen zu lassen; er hätte meine Genehmigung sorgfältiger prüfen sollen, bevor er den Alarm auslöste.
Man sollte denken, ein solcher Verweis wäre ihm unangenehm gewesen. Aber es bedeutete nur eine weitere Verzögerung für mich, weil er das Formular für die Verhaftung zerriss und stattdessen verlangte, ich solle ein anderes ausfüllen, dass besagte, dass niemand an diesem Checkpoint mir physischen Schaden zugefügt habe. Und um mir zu beweisen, dass er den Trumpf in der Hand hielt, verkündete er, dass ich nach Jericho müsste – fünfzig Kilometer von dem Checkpoint, an dem wir uns befanden, entfernt. Damit nicht genug, wies er mich an, mir in Jericho eine neue Genehmigung ausstellen zu lassen: Meine sei nun nicht mehr gültig.
Also fuhren wir hastig nach Jericho. Dort angekommen, bekam ich die Genehmigung und die Anweisung, nach Bethlehem zu fahren, ein weiterer Umweg auf meiner Reise zur Hölle. Ich war fassungslos – aber ich hatte keine Wahl. Wir kamen nach Bethlehem, die diensthabende Soldatin gab meinen Namen in den Computer ein, und was erschien auf dem Bildschirm? Der selbe Eintrag, der erschienen war, als ich Gaza am 16. August verlassen hatte, derselbe Eintrag, der beinahe meine Abreise verhindert hätte, weil er mich aus Sicherheitsgründen sperrte. Da diese Information irrtümlich in meine Datei geraten war, hatte ich angenommen, dass sie entfernt worden sei. Doch Vermutungen zählen nichts, da, wo ich lebe.
Ich wurde in einen Raum von einem mal anderthalb Meter Größe geschickt, gerade so groß, dass man darin stehen oder sitzen konnte, und man sagte mir, ich müsse warten. Als ich den Schlüssel im Schloss hörte, konnte ich meine Wut kaum noch im Zaum halten. Es war inzwischen
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