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Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)

Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)

Titel: Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ali Knight
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des Gewehrschranks und hatte sofort ein Bild von sich selbst vor Augen, wie sie an den Heizkörper gekettet war. Nicht noch einmal. Nie wieder. Schnell ging sie zum Schreibtisch, holte den kleinen Schlüssel hinter dem Foto hervor, öffnete den Schrank, nahm ein Gewehr heraus und spannte den Hahn. Es war nicht geladen. In der Schublade unten im Schrank fand sie eine Schachtel mit Patronen. Die goldenen Spitzen schimmerten matt. Sie lud das Gewehr und klappte es mit einem Klicken zu, das in der Stille hier draußen entsetzlich laut war. Nachdem sie den Schrank wieder verschlossen hatte, steckte sie den Schlüssel ein.
    Als Nächstes wühlte sie in den Schubladen der Wandschränke und Vorratskammern im Flur neben der Küche, bis sie eine Taschenlampe gefunden hatte. Die nahm sie an sich, und dann ging sie langsam, immerzu aufmerksam lauschend, nach oben. Der Wind wurde kräftiger. Das ganze Haus knarrte und ächzte wie eine Yacht auf hoher See. Auf dem oberen Treppenabsatz hielt sie kurz inne, dann schlich sie zu Connies Schlafzimmer. Auch hier waren die Fensterläden geschlossen, und sie musste die Taschenlampe einschalten. Die Tür ließ sie offen. Sie bückte sich und zog den Koffer mit Catherines Tagebüchern unter dem Bett hervor. In der Ecke unter dem Fenster, von der aus sie die Tür im Auge behalten konnte, hockte sie sich hin, lehnte das Gewehr neben sich an die Wand und begann zu lesen.
    Die Einträge umfassten eine Zeitspanne von ungefähr fünfzehn Monaten, von Juni 1988 bis September 1989 . Catherines unbeholfene Malversuche hatte Nicky anhand der Bilder unten begutachten können – jetzt stellte sie fest, dass Catherine im Schreiben weitaus besser gewesen war. Die Aufzeichnungen setzten zu der Zeit ein, als Adam ein kleines Baby gewesen war. Vermutlich hatte sie die Geburt des Kindes als ihren bislang größten schöpferischen Akt empfunden und sich dadurch angespornt gefühlt, ihr Leben in Worten festzuhalten. Wie sie die Liebe zu ihrem Sohn, die kleinen Triumphe und Irritationen des Mutterdaseins und ihre anhaltende Müdigkeit beschrieb, war sehr anrührend. Sie hatte nicht jeden Tag etwas notiert, ganze Wochen waren ohne einen einzigen Eintrag vergangen, aber man gewann eine Vorstellung vom Leben einer typischen Frau aus der gehobenen Mittelschicht mit Kind und großem Hausstand. Es hatte Hunde gegeben und ein Pferd, eine Teilzeit-Haushälterin und einen Gärtner, der sich ständig mit Lawrence angelegt hatte. Häufig war Connie da gewesen und hatte auf das Kind aufgepasst, während Catherine selbst Flugstunden nahm.
    Nach einer halben Stunde verlor Nicky die Geduld. Diese roten Bücher enthielten nicht den Hauch einer Enthüllung. Sie legte eine Pause ein. Wozu schrieb jemand Tagebuch? Sie selbst tat das nicht und hatte auch nie den Drang verspürt. Sie kannte überhaupt niemanden, der das tat. War das eine Frage der Generation? Der Klasse? Sicher wusste sie nur, dass ihr Tagebuch, würde sie eins schreiben, anders aussehen würde: Hass und Schadenfreude und Familienquerelen kamen hier praktisch nicht vor. Das Bild, das hier gezeichnet wurde, war um Auseinandersetzungen und Enttäuschungen bereinigt. Es war nicht wahrhaftig. Diese Bücher waren für eine gewisse Öffentlichkeit verfasst – so als hätte Catherine gewusst, dass sie von jemandem gelesen wurden.
    Sie nahm das letzte der Bücher zur Hand und überblätterte die seitenlange Beschreibung einer Abendgesellschaft, die sie hier im Haus gegeben hatten. Danach war eine Woche lang nichts aufgeschrieben worden, und dann änderte sich der Ton.
     
    Ich weiß, dass du das liest, Connie, auch wenn du es nicht zugeben würdest. Du konntest mich noch nie leiden und piesackst mich, seit ich hier das erste Mal zur Tür hereingekommen bin. Ich weiß, was du willst – aber du kriegst es nicht. Du magst Spielchen? Gut, hier kommt eins. Ich habe etwas hiervon unter dem Rasen versteckt. Jetzt willst du natürlich wissen, was. Gib’s zu, so ist es doch. Ich sage nur so viel: was ich alles weiß und du nicht, was ich habe und du nie haben wirst. Und selbst wenn du es findest, wirst du nicht wagen, jemandem davon zu erzählen, denn in dieser Familie werden Dinge so tief vergraben, dass sie nie wieder an die Oberfläche kommen. Na los, du hältst dich doch für so schlau … Schau nach, ob du es findest.
     
    Danach kamen nur noch leere vergilbte Seiten. Der Eintrag stammte vom 9 . September 1989 . Es war der letzte. Bald danach muss sie gestorben sein,

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