Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
siebzehn Stunden am Tag, und zu Hause erlaubte seine Frau ihrem Lover, mit seinen schmierigen Fingern den Schaltknüppel seines geliebten Motors zu bedienen. Sie wusste genau, wie viel der Wagen ihm bedeutete, und er dachte überhaupt nicht daran, sich dafür zu entschuldigen oder zu rechtfertigen – genau das war es doch, was Männer seines Alters taten: darauf achten, begehren, angeben. Warum sonst kauften sie Carbon-Fahrräder und Flachbildfernseher mit hochauflösendem Sechzig-Zoll-Bildschirm und Dolby-Surround-System? Er quetschte die Flasche dermaßen, dass ihm Wasser auf die Faust spritzte.
»Sie sind in Richtung Westen gefahren, und dann hat er plötzlich eine rote Ampel ignoriert, zwei Spuren Gegenverkehr geschnitten, ist rechts abgebogen und davongerast. Um ein Haar hätte er einen Fußgänger erwischt. Das kam total überraschend. Sie sah genauso verdattert aus, wie ich es war.«
In Gregs Mund sammelte sich überschüssiger Speichel. Überraschungen hatten in seinem Leben noch nie etwas Gutes gebracht. Unerwartete Neuigkeiten – das hieß für ihn nichts anderes als Unglück. Nach dem, was Grace zugestoßen war, war das nicht weiter erstaunlich. Gleich nach dem Zorn kam die Angst, kam das beklemmende Gefühl, nichts zu wissen, sich etwas ausmalen zu müssen.
»Wie sah er aus?«
»Er hat dunkles Haar, ist eher groß, wirklich jung.«
»Wie jung?«
»Mitte zwanzig, schätze ich.«
Greg erinnerte sich an seinen Skype-Kontakt mit Nicky, nachdem sie beinahe in der Themse ertrunken und von irgendeinem jungen Fatzke gerettet worden war. Das war derselbe aufgeblasene Scheißkerl gewesen, so viel stand fest.
»Sie hatte nur ihre Handtasche dabei. Sie wollte bestimmt nicht für lange weg.«
»Bleib dran.« Er legte das Handy beiseite und nahm das Hoteltelefon ab, das jetzt ebenfalls klingelte.
»Mr. Peterson, Ihr Wagen wartet«, flötete Sheri oder Diane oder Trudi von der Rezeption.
»Danke.« Dann kehrte er zu seinem Anruf aus London zurück.
»Vielleicht ist das gar nichts, Greg. Wahrscheinlich wollte er nur ein bisschen angeben.«
Das Gefühl der Ohnmacht wurde durch die Tatsache, dass er Tausende Kilometer weit weg war, noch potenziert. Er nahm seine Hose vom Stuhl und zog sie an. Auf eine verdrehte Weise hatte sein Plan irgendwann einmal Sinn ergeben: Er wollte sich von Nicky fernhalten, so dass das schlechte Karma, das ihn umgab, nicht auf sie abfärben konnte. Er hatte geglaubt, ihre Liebe würde die Distanz überstehen. Immerhin hatte er Sachen überlebt, an denen andere zerbrochen wären – daraus hatte er gefolgert, dass er anders war als andere Männer. Er war ständig hin- und hergerissen zwischen dem Staunen darüber, dass es ihn immer noch gab, und der Angst vor dem, was der nächste Tag bringen mochte. Jetzt ahnte er, dass er Nicky über dem Versuch, sie zu beschützen, verloren hatte. All seine Anstrengungen, all die Quälerei – umsonst!
Hass auf diesen jungen Mann kochte in ihm hoch. Eifersucht war mächtig, und sie folgte ihrer eigenen Logik. Er wusste, dass er Liz besser nicht gebeten hätte, ein Auge auf Nicky zu haben, aber der Mord an Grace und alles, was davor geschehen war, hatten ihn für die Normalität ohnehin unbrauchbar gemacht. Er fuhr sich über die schweißnassen Brauen. War es wirklich so falsch, dass er versuchte, eine gewisse Sicherheit zu erlangen?
Warum ich? Zum hunderttausendsten Mal fragte er sich das und wusste doch, dass es keine Antwort gab. Er hatte Grace verloren, und nun konnte es sein, dass er, weil er so unter dem Einfluss der Vergangenheit stand, auch Nicky verlor. Lange hatte er gegen die Wut angekämpft, aber jetzt schlug sie über ihm zusammen.
»Greg?«
Sein Stöhnen und das Geräusch von zerspringendem Glas waren durch das Telefon deutlich zu hören gewesen.
»Ja, ich bin da.« Er starrte auf die Überreste der Vase, die auf dem Sims des gasbetriebenen Pseudokamins gestanden hatte – bis er die Evian-Flasche danach pfefferte. Allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz war er noch da, klammerte sich ans Leben. Oberflächlich betrachtet war er ein erfolgreicher Mann, hatte eine Frau und eine Zukunft, über die er allein bestimmte – wäre er nur in der Lage gewesen, seine Vergangenheit zu vergessen.
»Ich fürchte, viel mehr kann ich nicht tun. Morgen muss ich arbeiten.«
»Okay, danke, Liz.«
»Greg? Es tut mir leid.«
Greg schaute aus dem Fenster, sah zu, wie die schwachen Sonnenstrahlen mit der dicken Smogschicht rangen, die über
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