Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
ins Fahrerhaus kletterte, am unteren Rand der sanft abfallenden Rasenfläche entlangfuhr und den See umrundete, wobei der Pflug da, wo eben noch alter Rasen gewesen war, eine grobe, dunkelbraune Furche zog. Nach ein paar Metern hielt er an, stieg noch einmal aus und rückte an den Pflugscharen etwas zurecht, dann fuhr er weiter bis kurz vor den alten Bootssteg, wo er abermals umständlich wendete. Er sah nicht zu ihr herüber, kein einziges Mal schaute er zum Haus. Er war besessen. Er zerstörte, wovon er beteuerte, es liege ihm am Herzen.
Während Nicky sich halb hüpfend, halb humpelnd in die Diele schleppte, hörte sie ihn erneut wenden und mit heulendem Motor den Hang heraufkommen. Neben der verschlossenen Haustür fand sie, was ihr gefehlt hatte. Zusammen mit einem Regenschirm standen dort in einer Bodenvase mehrere Spazierstöcke. Sie nahm sich zwei und stellte fest, dass sie damit gut vorankam, auf den alten Teppichen genauso wie auf dem Parkett. So gelangte sie auch zur Terrassentür und trat nach draußen.
»Was machst du?«, rief sie, chancenlos gegen den lauten Motor.
Adam antwortete nicht, also hob sie die Stimme und fuchtelte mit ihren Stöcken. Er zog schon die nächste Furche, der Pflug wirbelte trockene Erde auf, und graue Staubwolken verschleierten die Sicht auf den See. Nicky begann zu schreien. Sie wollte testen, wie laut sie werden musste, um gehört zu werden, doch er war ganz auf die Zerstörung des Gartens konzentriert. Es war, als sei er in einer anderen Welt.
Nun fuhr er ein weiteres Mal zur anderen Seite und hielt dort an. Sobald er den Motor ausmachte, herrschte totale, drückende Stille.
»Was machst du?«
Er schaute auf, kletterte aus dem Fahrerhaus und kam zu ihr. Seine Miene war ausdruckslos. Steinern.
»Ich suche was.«
»Was suchst du?«
»Weiß ich nicht.« Er hielt inne und starrte sie an. »Noch nicht.«
Am Oberschenkel spürte sie das Gewicht des Handys in ihrer Kleidertasche. Das hatte etwas Tröstliches, es half gegen die Angst. Dieser mutwillige Akt der Zerstörung beunruhigte sie zutiefst.
»Was du da machst, kommt mir nicht gerade rational vor.«
Er starrte sie unverwandt an, und plötzlich ging in ihrem Kopf eine unbekannte Tür auf und sie sah dahinter etwas Schreckliches lauern.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, sagte er.
»Was soll das heißen?«
»Hängt davon ab, was ich finde.«
»Wenn du überhaupt was findest.«
Sein Blick wanderte zum zerstörten Rasen, und er biss sich auf die Lippe. »Eigentlich wollte ich das mit dir zusammen machen, aber die Zeit wird knapp.«
»Wie bitte? Was wolltest du mit mir zusammen machen? Ich verstehe kein Wort, Adam.«
»Es ist unter dem Rasen. Das sagt meine Mutter.«
»Deine Mutter? Wie sollte die dir was sagen?«
»Als du geschlafen hast, habe ich ihre Tagebücher gelesen.«
»Und sie schreibt, dass unter dem Rasen etwas vergraben ist?«
Adam nickte.
»Und was?«
»Ich hab keine Ahnung.« Er lachte kurz. »Die Antwort – auf das Leben, das Universum und alles … auf dein Leben.«
»Was? Mein Leben? Adam, was redest du da?«
Aber er hörte schon nicht mehr zu. Er kehrte zum ramponierten Rasen zurück und fing an, die Furchen, die er gezogen hatte, abzusuchen.
Mühsam folgte Nicky ihm.
»Adam, dieser Rasen ist jahrhundertelang kultiviert worden, du bist als Baby darauf herumgekrabbelt, deine Familie hat ihn über Generationen gepflegt und ihre Freude daran gehabt – und du kommst und gräbst ihn um, weil du in den Tagebüchern da oben etwas gelesen hast?«
»Ja.«
»Also handelt es sich um etwas Wertvolles?«
Er zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht.«
Das kleine Alarmsignal, das ständige leise Ticken in ihrem Hinterkopf, wurde lauter.
»Und was hast du da noch gesagt – warum wird die Zeit knapp? Adam!«
Als er jetzt zu ihr aufschaute, schien er beinahe überrascht, sie zu sehen.
»Was wird dein Vater dazu sagen?« Sie zeigte mit einem ihrer Stöcke auf den aufgewühlten Boden.
»Er sieht es nicht. Er kommt nicht her. Niemand kommt her.«
Und damit ging er weiter, immer an der zuletzt gezogenen Furche entlang, und suchte systematisch den Boden ab. Hin und wieder kickte er einen kleinen Stein beiseite, manchmal nahm er einen Brocken trockener Erde auf und zerkrümelte ihn zwischen den Fingern.
Nicky, in deren Fuß der Schmerz pochte, blieb stehen, um zu sehen, wie weit er es trieb. Offenbar gab es für ihn keinen Zweifel, kein Zögern, keine moralischen Bedenken. Das hatte sie
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