Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
zurückzog und es dem Verfall überließ.
Draußen schrie eine Kreatur der Nacht, eine Eule wahrscheinlich. Nicky beneidete sie um ihre Freiheit. Wie gern wäre sie jetzt über einen schönen Rasen gegangen, hätte Tau zwischen den Zehen gespürt. Heute nicht, meine Liebe. Sie drehte sich auf die Seite und dachte an Adam, der nebenan schlief und von knackigen jungen Frauen diesseits der fünfundzwanzig träumte. Das ungewohnte Nachthemd schlug Falten, die drückten. Sie hatte es angezogen, um sich zu schützen, sie wusste selbst nicht, wovor. Zu Hause schlief sie immer nackt, aber jetzt war sie weit weg von zu Hause. Gott, sie war so dumm gewesen, so selbstsüchtig und eitel. Warum hatte sie ihre Ehe so unüberlegt und sinnlos auf die Probe stellen müssen? Grace hätte das nicht gutgeheißen. Eine Träne lief ihr über den Nasenrücken und tropfte aufs Kissen. Sie hatte sich bemüht, Grace nachzueifern, im Gedenken an sie ein besserer Mensch zu werden. Jetzt aber, hier in der Finsternis, fürchtete sie, dass sie versagt hatte.
Nicky schlug die Augen auf und versuchte, im undurchdringlichen Dunkel wenigstens irgendwas zu erkennen. Sie blinzelte zweimal, und dann befiel sie die Angst. Da war jemand im Zimmer. Ein Schatten neben der Tür, mehr war nicht zu sehen. Bevor sie schreien konnte, kam die Gestalt mit zwei, drei schnellen Schritten auf sie zu. Adam. Er legte einen Finger an die Lippen und beugte sich zu ihr herunter.
»Bleib hier im Zimmer«, flüsterte er ihr ins Ohr und war schon wieder zur Tür hinaus.
Sie setzte sich auf, ihr Herz klopfte wie wild. Sie verstand überhaupt nichts. In dem verzweifelten Drang, sich zu orientieren und die Angst in den Griff zu kriegen, tastete sie auf dem Tisch neben dem Bett nach dem Handy. Sie fand es nicht. Immer hektischer suchten ihre Finger, ohne Erfolg. Es war so scheißdunkel in diesem Haus, sie fand noch nicht mal ein Telefon! Als sie die Beine über die Bettkante schwang, hörte sie einen Schrei. War das Adam gewesen? Sie erstarrte. Da war ein Streit im Gange, mal lauter, mal leiser, und bald hallte das dumpfe Geräusch eines heftigen Schlages wider, in der ländlichen Stille grässlich laut.
Es musste noch jemand im Haus sein. Sie stand auf. Alle möglichen Geräusche drangen auf sie ein, eins gewaltsamer als das andere: Ächzen und kehlige Schreie, etwas Schweres prallte an einem Möbelstück ab – so klang es jedenfalls. Es war so dunkel, und durcheinander, wie sie war, kam sie nicht darauf, wo die Spazierstöcke standen, also humpelte sie ohne zur Tür.
Sie hörte ein Stöhnen und etwas, das wie Fluchen klang. Auf scharrende Geräusche folgte ein dumpfer Schlag. Etwas Schweres musste auf den Boden gefallen sein und rollte weg, wobei ein schwacher Lichtstrahl auftauchte und sich auf Wand und Treppe richtete. Da hatte jemand eine Taschenlampe fallen lassen.
Die Wand als Stütze nutzend, humpelte sie ein paar Schritte den Flur entlang. Der Lärm unten wurde immer wüster, die Geräusche immer bedrohlicher. Sie wusste nicht ein noch aus. Sollte sie in ihrem Zimmer bleiben oder sich in das Handgemenge einmischen? Ihr war klar, dass Geräusche leicht fehlgedeutet wurden, dass ihre Vorstellungen von dem, was sich da abspielte, von der Realität weit entfernt sein konnten.
»Adam!«, schrie sie spontan – und wünschte sofort, sie hätte es nicht getan. Das Gerangel dauerte noch einen Moment an, dann erlosch der Strahl der Taschenlampe. Nun war es wieder stockdunkel.
Sie hielt die Luft an, solange sie konnte, versuchte, das weiße Rauschen in ihrem Kopf zu ignorieren. Als sie Holz knarren hörte, zuckte sie zusammen, und dann hörte sie noch etwas: ihr eigenes Wimmern. Starr und steif stand sie da, wusste nicht, ob sie zurückweichen oder vorwärtsgehen sollte, war nicht in der Lage, sich eine vernünftige Erklärung zusammenzureimen für das, was mitten in der Nacht da unten passierte.
Sie wartete ab, lauschte angestrengt und merkte, wie ihre Angst ständig wuchs. Es war jemand im Haus, jemand, den keiner hergebeten hatte. Was, wenn Adam verletzt war? Wenn er ihre Hilfe brauchte? Der Gedanke an die unzähligen schrecklichen Möglichkeiten lähmte sie nur noch mehr. Es waren zu viele, als dass sie sie ernsthaft hätte durchdenken können. Sosehr sie sich auch anstrengte, sie sah nichts, es war einfach zu dunkel. Die quälende Unentschlossenheit hatte schließlich ein Ende, als die Taschenlampe wieder anging und ihr Strahl geisterhaft über die Wände
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