Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
letzte saubere in der Küche gewesen – das Rotationsprinzip, das sie fürs Spülen eingeführt hatten, bewährte sich ungefähr so wie die regionale Fußballmannschaft. Sie starrte auf den Früchteteebeutel, der im heißen Wasser trieb. Was er enthielt, sah aus wie in einem Stall zusammengefegt. Himbeere und Echinacea – eine gute Mischung, um vom Koffein wegzukommen, hatte Sondra gesagt. Dabei war ein ordentlicher Schuss Koffein genau das, was Jenny jetzt, als sie diesen Bericht überflog, dringend gebraucht hätte. Die Lage war so unübersichtlich, wie sie nur sein konnte. Sie hatten es mit einem nächtlichen Einbruch zu tun und einer tätlichen Auseinandersetzung mit Todesfolge. Das bot in ihrer kleinen Wache Gesprächsstoff ohne Ende.
Ein feiner Pinkel in einem großen Haus,
hatte Sondra gesagt.
Die sind doch die Schlimmsten, oder?
Jenny sah das anders. Sie konnte sich weitaus Schlimmeres vorstellen. Sondra war eben jünger, noch nicht so lange im Job, der fehlten ein paar Jahre Erfahrung. Jenny schnupperte konzentriert am Tee. Wie die meisten gesunden Sachen roch er nach nichts, so als sei er gar nicht vorhanden.
Es standen noch weitere Beschuldigungen im Raum: Kidnapping, Fahrerflucht, möglicherweise sexuelle Gewalt. Die Einsatzkräfte hatten sich sofort auf den Weg gemacht, gleich mehrere Dienstfahrzeuge waren über die Landstraßen davongerauscht.
Das Opfer, eine Nicky Ayers, war in einen Autounfall verwickelt gewesen und ins Krankenhaus gebracht worden. Der mutmaßliche Täter befand sich auf der Wache, mit keinem Geringeren als seinem Vater, Richter Lawrence Thornton, als Rechtsbeistand. Der Held der Frauen hatte einen Sexualstraftäter zum Sohn? Die ganze Wache war in Aufruhr, ein Gerücht jagte das andere, und es war Jennys Job, für Klarheit zu sorgen.
Sie nahm ihren Teebecher, ging zu den Verhörräumen, klopfte an und trat ein. Die Zimmer auf dieser Seite des Gebäudes hatten große Fenster nach Süden. Jenny lief gegen eine Wand aus Hitze. In einer Ecke des Raumes summte ein Ventilator, der überhaupt nichts bewirkte. Synchron, wie einstudiert, erhoben sich die beiden Männer und setzten sich wieder. Auf dem Tisch stand ein riesiger schwarzer Kassettenrecorder. Während sie auf Aufnahme drückte, sich vorstellte und Datum und Uhrzeit nannte, taxierte Jenny die beiden.
Es fiel ihr nicht schwer, sich in die Lage anderer Frauen zu versetzen und die Dinge so zu betrachten, wie sie es taten. Adam Thornton war jemand, bei dem zwei entscheidende Dinge zusammenkamen: gutes Aussehen und Jugend. Über Ersteres hatte sie nie verfügt, von Letzterem hatte sie sich bereits vor einer ganzen Weile verabschiedet. Er war tiefbraun gebrannt, hatte ein blaues Auge und trug einen Arm in einer Schlinge. Sein T-Shirt war schmutzig und zerrissen, seine Arme waren von Schrammen übersät. Muss ein heftiger Kampf gewesen sein, dachte sie.
»Sie sind ärztlich untersucht worden, oder?«
Er nickte.
Jenny betrachtete seine muskulösen, sehnigen Arme. Sie verallgemeinerte gern. Es machte die Welt übersichtlicher, verstehbarer. Und sie war der Meinung, dass es in diesem Job sehr von Vorteil war. Wenn dieser Kerl zuschlug, konnte es übel ausgehen – wie der Tote hatte erfahren müssen.
Sie warf einen Blick auf ihre Notizen. Er war in einem exquisiten Internat gewesen. Das Anwesen, auf dem sich die Ereignisse abgespielt hatten, gehörte der Familie. Zurzeit lebte er bei seinem Vater, dessen Adresse in der Hauptstadt Jenny etwas sagte: eine schicke Gegend, von der sie schon gehört hatte. Adam war ein wandelndes Privileg. Er hatte ein stattliches Erbe zu erwarten und konnte die Damenwelt schon jetzt mit einem netten Landsitz beeindrucken. Wenn dieser Typ einem seine Aufmerksamkeit schenkte, war es sicher nicht leicht zu widerstehen.
»Wir versuchen herauszufinden, was genau sich am Dienstagmorgen ereignet hat.« Jenny hielt inne und schaute erneut auf ihre Notizen. »Sie wachen also mitten in der Nacht auf, Sie hören etwas, gehen die Treppe hinunter und entdecken Struan Clarke.«
»Ich habe gesehen, dass er etwas Großes in der Hand hatte – was es war, konnte ich nicht erkennen, es war ja dunkel. Also habe ich mir die Vase gegriffen, die auf dem Treppenabsatz stand, und nach ihm geworfen.«
»Wie genau stand er da, in welche Richtung hat er geschaut?«
»Zu mir. Er kam auf mich zu.«
»Und dann sind Sie auf ihn draufgesprungen?«
»Er wollte auf mich losgehen.«
Jenny stieß einen stummen Seufzer aus.
Weitere Kostenlose Bücher