Du sollst nicht lieben: Roman (German Edition)
Neben dem Pool. Am dreiundzwanzigsten August neunundneunzig.«
Nicky schwieg einen Moment, dann sagte sie: »Das tut mir sehr leid. Hast du gewusst, dass sie an Selbstmord dachte?«
»Das hat sie nicht«, blaffte er.
»Was?«
»Sie hat sich nicht umgebracht.« Dazu zuckte er halb fatalistisch, halb trotzig mit den Schultern. »Früher war sie wegen Depressionen in Behandlung gewesen, und sie kannte ziemliche Höhen und Tiefen, aber ich bin sicher, das hätte sie nie gemacht. Ich meine, es muss ein Unfall gewesen sein.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich auch nicht. Sie hatte keinen Grund. Vielleicht war sie irgendwie verwirrt. Dieses elende Hotel … Die waren absolut darauf aus, alles unter den Teppich zu kehren, damit bloß das Geschäft nicht geschädigt wird.«
»Zimmer grundsätzlich im Erdgeschoss … Jetzt weiß ich, warum. Aber wie …«
»Ich weiß es nicht. Ich verstehe es nicht. Okay? Ich kann es dir nicht erklären – ebenso wenig, wie ich es ihren Eltern erklären konnte!« Jetzt schrie er, dass seine Stimme durch den Nachmittag gellte. »In der Apotheke standen die Leute Schlange. Ein Australier wollte wasserdichte Pflaster oder so was kaufen und konnte sich ewig nicht entscheiden …« Er verstummte. Starrte ins Leere. »Als ich zurückkam, war sie nicht da.« Er drehte sich zu Nicky um. »Es sind mindestens zehn Minuten vergangen, bis ich die ersten Schreie draußen gehört habe. Da erst habe ich aus dem Fenster geschaut und bin auf diesen Scheißbalkon rausgegangen.« Er schwieg einen Moment. »Du wirst nie alles erfahren, was du gern wüsstest, weil ich gar nicht erst zu versuchen brauche, es dir zu erzählen. Mir fehlen dafür die Worte!«
»Ich weiß, wie schwer es sein kann, etwas zu erzählen, über heikle Sachen zu reden …« Sie schaute zerknirscht drein.
»Nicky?«
Sie schwieg einen Moment zu lange.
»Nicky?«
»Es tut mir so leid.« Sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
»Ich will kein Mitleid. Mitleid ertrage ich nicht. Deshalb habe ich dir nichts davon erzählt. Und auch sonst niemandem. Ich habe mich damals über lange Zeiträume in Kalifornien aufgehalten – dort hat sie gelebt –, in London waren wir nur hin und wieder. Und den Urlaub haben wir in Marokko verbracht. Die Polizeibeamten haben nie danach gefragt, weil sie bei ihren Nachforschungen nie darauf gestoßen sind, und ich habe es ihnen nicht erzählt.«
»Sie hat ein Kind von dir erwartet.«
»Aber es gibt kein Kind, Nicky! Dieses Kind ist nie geboren worden! Sicher könnte ich mir etwas anderes einreden, aber das Kind hat nie existiert! Sie war im fünften Monat, als sie starb. Manchmal habe ich an ihrem Bauch eine Bewegung gespürt, wenn ein kleiner Fuß gestrampelt hat. Aber dieses Kind hatte nie einen Namen, es hat kein Geschlecht, keine Geburtsurkunde und kein Grab!«
Greg war zornig. So zornig, dass auf seinem Gesicht rote Flecken erschienen. So hatte Nicky ihn noch nie erlebt.
»Ich habe gerade einen Zwölf-Stunden-Flug hinter mir, und die ganze Zeit habe ich Blut und Wasser geschwitzt vor Angst. Ich habe einen Jetlag. Und ich brauche es nicht, von
meiner Frau
auf derart inquisitorische Weise über Dinge ausgefragt zu werden, die lange zurückliegen und die ich nur vergessen möchte!«
Er schnappte sein Jackett und schlüpfte mit so heftigen Bewegungen hinein, dass er es um ein Haar zerrissen hätte.
»Findest du, ich wohne noch nicht genug in Hotels? Glaubst du, ich komme gern nach Hause und verbringe gleich den ersten Tag in einem beschissenen Novotel? Das ist es nämlich, wozu du mich treibst, Nicky!«
»Bitte bleib, damit wir darüber reden können!« Jetzt bettelte sie regelrecht. »Du lässt mich nicht teilhaben, und ich will dir doch nur helfen.«
»Oh Mann!« Er fuhr zu ihr herum. »Willst du mir vielleicht erzählen, dass du anders bist als die anderen? Als du das mit Francesca gehört hast, ist dir sofort Grace eingefallen, oder etwa nicht? Und dann hast du gedacht:
zwei
tote Frauen? So viel Pech kann doch gar keiner haben. Das ist es nämlich, worum es hier in Wahrheit geht. Du verdächtigst mich, genau wie alle anderen es getan haben!«
Er marschierte in Richtung Haustür, tastete sein Jackett nach der Brieftasche ab, fand sie nicht, wirbelte herum, kehrte in die Küche zurück und klaubte sie von der Kochinsel. Die ganze Zeit über stand Nicky im Flur. Die Hand schon auf der Türklinke, drehte er sich noch einmal um. Jetzt sprach er leise, beinahe
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