Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
Grimsby
Shifter-Chefs machen Schläfern das Leben »unerträglich«, so eine neue Bürgerrechtsbewegung.
»Man verlangt von uns, dass wir jede Menge Überstunden machen und unregelmäßige Schichten arbeiten, was unsere körperliche und seelische Gesundheit gefährdet«, so der Sprecher von »Ein Recht auf Schlaf«, Dylan Bennett. »Die Arbeitgeber ignorieren einfach die Tatsache, dass viele Menschen nach wie vor schlafen müssen.«
Bennett vergleicht die Lage der Schläfer mit der von Schwangeren und sagt, beide bräuchten spezielle Zugeständnisse an ihre biologischen Bedürfnisse.
»Frisch gebackene Mütter bekommen mindestens drei Monate Mutterschaftsurlaub«, so Bennett. »Wir fordern ›Schlafurlaub‹ in Form einer gesetzlich vorgeschriebenen zehnstündigen Auszeit zwischen zwei Arbeitstagen.«
Kritiker wenden jedoch ein, dass sich Schlaf nicht mit der Mutterrolle vergleichen lasse, da er keinerlei Zweck habe und der Gesellschaft nichts zurückgebe.
»Ehrlich gesagt, finde ich es unverschämt, sinnloses Nichtstun mit dem Hervorbringen neuen Lebens zu vergleichen«, so Shifter-Aktivist James Livington. »Dasist eine Beleidigung für sämtliche Mütter auf diesem Planeten.«
Cynthia ließ sich der Länge nach aufs Wohnzimmersofa fallen und starrte an die Decke. Was sie über Jeff Loomis und das Anti-Schlaf-Mittel erfahren hatte, ließ sie nicht mehr los.
Bald würden alle rund um die Uhr Wachträume haben. Sie versuchte sich vorzustellen, wie die Welt wohl in einem halben Jahr aussähe, und bekam eine Gänsehaut. Irgendwo in den Tiefen ihrer Handtasche war ihre eigene 24/7-Kapsel versteckt. Sie setzte sich auf, nahm die Tasche und wühlte darin herum. Da war sie, in einem Fach zwischen Adressbuch und einer Packung Taschentücher. Sie nahm das kleine Oval heraus und rollte es zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Dabei dachte sie an Jeff Loomis, der mit seiner Frau und den Schlangen in dem blauen Zimmer gefangen war. Mit seinen Träumen und Albträumen. Sie fröstelte.
Ihr wurde bewusst, dass sie nach wie vor den Midnight-Schimmer trug, den sie morgens vor der Arbeit aufgelegt hatte. Seit Monaten redete sie sich ein, dass sie ihn nur zu Recherchezwecken benutzte. Dabei hätte sie ihren Artikel längst schreiben können. In Wahrheit gab ihr das Make-up ein gutes Gefühl: nämlich, dazuzugehören. Zu den Siegern zu gehören. Zu den Furchtlosen, Fortschrittlichen, Wichtigen. Sie schüttelte den Kopf. Wie jämmerlich.
Cynthia holte ihr Handy heraus. Sie hatte noch einen Artikel zu schreiben, aber zuerst wollte sie mit Damien sprechen. Es wurde Zeit, dass er die Wahrheit über 24/7 erfuhr. Alle mussten sie erfahren.
Eine Stunde später saß sie an einem Ecktisch im Old Duck. Damien hatte seltsam geklungen, als er endlich ans Telefon gegangen war. Zerstreut und fahrig.
Sie sah sich um. Es war ziemlich viel los im Pub. Gäste aller Altersstufen, in Anzügen, Kleidern oder Fußballtrikots. Automatisch suchte sie die Gesichter nach Augenringen ab: Kein einziger Schläfer war dabei. Andererseits konnten die sich auch hinter Shifter-Schimmer verstecken, genau wie sie. Cynthia griff nach einem liegen gebliebenen Exemplar des Telegraph und überflog die Titelseite.
Ein Hollywood-Star war jetzt auch Shifter und zog seine Antidiskriminierungsklage gegen Spotlight Films zurück. Anscheinend stand man im besten Einvernehmen, denn das Studio hatte ihm die Hauptrolle in einem der nächsten großen Filmprojekte gegeben.
Sie blätterte um. Jugendliche hatten einen Obdachlosen an seinem Schlafplatz im Park zusammengeschlagen und dabei doppeldeutig gegrölt: »Stirb, du Penner!« Das Opfer lag schwer verletzt im Krankenhaus. Die Jugendlichen waren nach wie vor auf freiem Fuß.
Sie nahm einen Schluck Wein und zog eine Grimasse, weil er so sauer schmeckte. Die Luft im Old Duck war abgestanden und verbraucht.
»Hallo.« Damien ließ sich auf den Stuhl gegenüber fallen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und schwieg.
»Damien? Alles in Ordnung? Der Wein ist grauenhaft, ich wollte mir gerade ein Bier holen. Kann ich dir etwas mitbringen?«
Er schien sich zusammenzureißen. »Ja, danke. Ein Jameson auf Eis wäre toll.«
Cynthia wartete an der Bar und wurde wieder von Zweifeln gequält. Sollte sie Damien wirklich gestehen, dass sie ihn in Bezug auf 24/7 angelogen hatte? Eigentlich musste sie das gar nicht. Schließlich hatte sie die perfekte Ausrede: Sie konnte sagen, sie hätte verstörende Neuigkeiten über
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