Du sollst nicht schlafen: Thriller (German Edition)
zergehen. »Das Wort gefällt mir. Und es trifft es wirklich gut.« Mit einem zufriedenen Lächeln verschränkte er die Arme hinter dem Kopf, lehnte sich in dem weißen Sofa zurück und schloss die Augen.
»Hey, jetzt bloß nicht einschlafen!«, sagte der Schwarze, was große Heiterkeit auslöste.
Cynthia beugte sich über den Tisch und erzwang Blickkontakt mit ihm. Sie war fest entschlossen, sich an dem Gespräch zu beteiligen. »Tut mir leid, aber ich glaube, man hat uns noch nicht vorgestellt.«
»Leonard.« Er gab Cynthia die Hand. »Fünfunddreißig Tage. DJ bei Nacht und Rechtsanwalt bei Tag.« Er grinste. »Und zwar genau in dieser Reihenfolge.«
Cynthia wandte sich mit einem Lächeln an das Mädchen neben sich. »Und du bist …?«
Die Halbwüchsige löste ihre Lippen kurz von ihrem Strohhalm. »Ruth«, sagte sie. »Sechzehn Tage.« Dann widmete sie sich wieder ihrer Cola.
Die Frau neben ihr sagte: »Ich bin Felicity. Neununddreißig Tage.« Sie tätschelte den Arm des Mädchens. »Ich habe zwei Wochen gebraucht, um sie zum Shiften zu überreden. Sie ist meine Tochter.«
Cynthia sah sie ungläubig an. Welche Mutter übt Druck auf ihr Kind aus, ein ungetestetes Medikament zu nehmen? Felicity war ihre Reaktion nicht entgangen, denn sie lächelte und sagte: »Das hört sich vielleicht seltsam an, aber es ist wirklich zu ihrem Besten. Ruth hatte immer schlechte Noten. Aber jetzt, wo sie so viel Zeit zum Lernen hat …« Sie legte einen Arm um die Schultern ihrer Tochter. »Ich bin alleinerziehend und konnte nicht studieren. Aber sie wird das schaffen. Sie wird es einmal besser haben als ich.«
Der letzte Rest Pepsi verließ unter lautem Schlürfen die Flasche. Ruth wischte sich gelangweilt mit dem Ärmel über den Mund. Vermutlich hatte sie diesen Text schon öfter gehört. Ein Kellner tauchte am Tischende auf. Er trug eine schwarze Fliege und hatte malvenfarbene Ringe unter den Augen.
»Sind hier alle auf 24/7?«, fragte Damien, nachdem die Bestellungen aufgenommen worden waren.
Dan schüttelte den Kopf. »Noch nicht. So früh am Abend ist das Publikum noch gemischt. Aber gegen zwei sind die meisten Schläfer verschwunden.«
Leonard rümpfte die Nase. »Es ist schon verrückt, wenn man darüber nachdenkt! Die verschenken völlig grundlos ein Drittel ihres Lebens. Aber ich kann jetzt vierzehn Stunden am Tag arbeiten, sechs Stunden in der Nacht Musik auflegen und habe immer noch Zeit, mich mit den Ladys zu amüsieren, die sich um mein DJ-Pult drängen.« Er zwinkerte Damien spitzbübisch zu.
Dan gluckste. »Von mir aus dürfen die Schläfer gern im Bett bleiben. Würden alle shiften, hätten wir ja keinen Wettbewerbsvorteil mehr. Starke ohne Schwache – das bringt nichts in unserer Ellbogengesellschaft.«
Cynthia schaute ungläubig zwischen Dan und Leonard hin und her. Wie unfassbar unverschämt! Hatten die ganz vergessen, dass sie auch noch hier war?
Dan beugte sich vor und tätschelte ihre Schulter. »Das sollte keine Beleidigung sein«, sagte er.
Cynthia warf Damien einen Blick zu. Aber der sah Dan beeindruckt an und schien die gespannte Atmosphäre gar nicht zu bemerken.
»Hast du deshalb so früh mit dem Shiften begonnen?«, fragte Damien. »Um dir einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen?«
Dan lächelte nachsichtig. »Ich habe das Potenzial von 24/7 auf Anhieb erkannt. Mir war klar, dass es ein neues Zeitalter einläuten würde: ein Zeitalter, in dem der menschliche Fortschritt nicht länger von Schlaf behindert wird. Ich bin Architekt: ein viel beschäftigter Kreativer. Schlaf hat da nur gestört. Als ich sah, dass es für dieses Problem eine Lösung gibt, habe ich mich sofort darauf gestürzt. Ich habekeine Sekunde daran gezweifelt, dass es richtig ist, 24/7 zu nehmen. Ich konnte dem Schlafen sowieso nie viel abgewinnen.«
Cynthia zog die Augenbrauen hoch und wartete darauf, dass er das weiter ausführte. Ruth beugte sich vor und flüsterte: »Er hatte schwere Schlafstörungen.«
Dan wirkte gereizt. »Mein Körper hat Schlaf schon immer abgelehnt«, sagte er. »Die Schlafstörungen waren nur das Symptom. Jetzt, wo ich 24/7 nehme, kann ich die physischen und die psychischen Seiten meiner Persönlichkeit in Einklang bringen.«
Meine Güte, was für ein Vollidiot!, dachte Cynthia. Auch wenn es sie nicht komplett überraschte: Das Ziegenbärtchen war ein deutliches Warnsignal gewesen.
Der Kellner nahte mit einem Tablett mit Pommes frites und Burgern. Cynthia hatte um diese Zeit keinen
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